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Reiseberichte  Teil 2
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Urlaub in Südosteuropa mit dem Roller. 2004 ,2005, 2006 und 2007
von Bruno Schiffer †
Bruno Schoffer ist am 13.09.2008 leider verstorben

1.Teil 2004

„Was ist Urlaub?“, fragte die alte Bäuerin mit dem faltigen Gesicht und dem typischen Kopftuch. 

Meine Frau, die sich am liebsten Flimmchen nennen lässt, hatte mit ihr ein Schwätzchen angefangen. Es war in einem abgelegenen Dorf in den Karpaten. Hier war die Zeit stehen geblieben. Keiner hatte einen Traktor, das Getreide wurde von Schnittern mit der Sense gemäht. Einziges Transportmittel waren Pferdewagen und Schubkarre. Vor jedem Haus stand ein prächtiger, reich verzierter Brunnen, aus dem jeder Eimer Wasser mit der Handkurbel hochgeholt werden musste. Hinterm Haus das Plumpsklo mit dem Herzen in der Tür. So war es bei uns zuhause so etwa 1947.

Und diese alte Rumäniendeutsche hatte das Wort Urlaub noch nie gehört, das war einfach nicht in ihrem Sprachschatz. Sie meinte, wenn man schon die Strapazen einer solch langen Reise auf sich nimmt, dann ist das nur, um jemanden zu besuchen oder etwas Geschäftliches zu erledigen. Meine Frau schilderte anschaulich, was uns so treibt. Dann hatte sie es begriffen. 

„Das ist also wie Spazierengehen, wie wir es am Sonntagnachmittag machen. Nur so durch die Felder gehen, ein Schwätzchen mit den Nachbarn, sich an der schönen Landschaft freuen. Eben nur etwas weiter, da ihr ja ein Motorrad habt.“

Eine wunderbare Definition. Die liebenswürdige alte Frau hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.


Seitdem wir 1996 die erste Fernreise nach Portugal mit dem Roller unternommen hatten, hatte uns dieser Virus nicht mehr losgelassen. Es musste immer weiter, immer ausgefallener werden. So waren wir, wie teilweise anderweitig geschildert, in Italien 1997, Kroatien 1998, Skandinavien 1999 und 2000, Sardinien 2001,  Polen 2002 und Baltikum 2003.

 

So hatten uns für 2004 Rumänien mit dem Endziel Schwarzes Meer vorgenommen. Von dem Land hatten wir nur etwas vage Vorstellungen, den Reiseführer hatten wir nur eingepackt und vorher überhaupt nicht intensiv durchgearbeitet. Vom ADAC hatten wir die einzige verfügbare Karte dabei, die ganz Südosteuropa darstellte und die absoluten Highlights (nach deren Meinung) beschrieb.


Für diejenigen meiner Leser, die bei dem Wort Motoroller an eine Vespa denken, gebe ich mal eine kurze Beschreibung unserer jeweiligen fahrbaren Untersätze. 2004 und 2005 war das ein Suzuki „Burgman 400“ mit 33 PS und Spitze 140 km/h. 2006 habe ich aufgerüstet auf einen Honda „Silver Wing“ mit 600 ccm, 50 PS und Spitze etwa 160 km/h. Das sind sogenannte Sofaroller. Wie der Name andeutet kann man sich auf denen fast „lümmeln“. Es ist reichlich Platz auf der Sitzbank und darunter ein Gepäckabteil mit etwa 45 Litern Volumen. Das schluckt schon einiges an Reisegepäck. Dann ist hinten noch eine Box, die man Topcase nennt. Die schluckt dann noch mal die gleiche Menge. Ein kleines Fach im vorderen Beinschild ist eher für Kleinkram brauchbar. Addiert ergibt das die Größe eines mittleren Reisekoffers. Darin muss dann alles Platz finden. Das reicht für Wäsche und Socken, die täglich gewechselt werden, Kosmetika und Utensilien für die Körperpflege. Auch Reiseführer, Landkarten und etwas Lesestoff müssen mit. Die Oberbekleidung wie Hose, Jacke Stiefel und Pullover tragen wir am Körper. Anders geht das leider nicht. Man könnte noch seitliche Packtaschen anbringen, aber dann würde die Fuhre breiter und wegen der extremen Hecklastigkeit unregierbar. Es war so schon zu wenig Last auf dem Vorderrad, wie ich schmerzlich erfahren musste. Doch dazu mehr im Reisebericht von 2006. Was nie wieder in unserem Reisegepäck fehlt, ist ein kleiner Wasserkocher mit Kaffeebechern und ein Glas Pulverkaffee. Das weckt die Lebensgeister am frühen Morgen und bringt abends ein Gefühl von Gemütlichkeit in das soeben bezogene Hotelzimmer.

Ja, und dann haben wir noch unser Spezialsystem entwickelt und verfeinert. Ein ganzes Jahr lang sammelt meine Frau Hemden, Blusen, Unterwäsche und Socken, die aussortiert werden. Loch im Socken? Nicht zuhause wegwerfen. Hemd am Kragen dünn? Dto. T-Shirt schrille Farbe oder unmöglicher Spruch (Beispiel Meister Proper), eine Bluse, ein ganzes Jahr nicht angehabt, da daran sattgesehen oder 10 Paar Socken zu 6 € vom Flohmarkt. Alles landet im großen Sack. Dann hat sie noch zwei Freundinnen, die für sie mitsammeln und ihre Männer von nicht passenden Hemden erlösen. Und und und.

Im Urlaub erfüllen diese Teile zwei Tage ihre Pflicht, dann landen sie im oder neben dem Abfalleimer im Hotel. Die Putze kann ja entscheiden, was sie damit macht. Auf diese Weise haben wir gegen Ende der Reise sogar im Topcase Platz für zwei Motorradjacken, die sonst bei einem Stadtbummel einem immer auf den Sack gehen. Nicht zu vergessen die bessere Beschleunigung und der geringere Spritverbrauch. Haha.


Am 12. Juni, einem Samstag, war‘s dann so weit. Wir hängten uns auf die Autobahn, um möglich rasch in Richtung Osten zu kommen. Zwickau sollte die erste Station sein. Und warum nun ausgerechnet Zwickau? Da waren wir noch nie, der Name klang irgendwie lustig und, last not least, es hatte eins dieser preisgünstigen Etap-Hotels. Beim Landeanflug ergab ein Telefonat, dass unsere angepeilte Herberge schon ausgebucht war. Das nächste in Chemnitz war ja dann auch nicht mehr die Welt weiter, obwohl unsere Hinterteile ganz schön plattgesessen waren. Chemnitz war irgendwie enttäuschend. In der City weite Teile nicht oder nicht wieder bebaut. Daneben die chromblitzenden Konsumtempel mit den Filialisten, die auch bei uns in jeder Stadt einen Ableger haben. Dann flüsterten uns Einheimische den Geheimtip zu: Klein Paris. Am Rande der City ein Areal mit einem stilisierten illuminierten Eiffelturm, umgeben von Fress- und Saufbuden, an denen zu saftigen Preisen französische Spezialitäten verhökert wurden. Kann mir einer sagen, ob dies ein Relikt aus DDR-Zeiten ist oder erst nach der Wende aufgebaut wurde?


Am Sonntagmorgen verließen wir unsere „Nobelherberge“ Richtung Tschechei. Dabei durchquerten wir das Erzgebirge. Hier lebt die Bevölkerung tatsächlich vom Schnitzen der Räuchermännchen, von Weihnachtspyramiden, buntlackierten Engeln und Nussknackern. Nach dem Niedergang des Silberbergbaus, der einst Annaberg reich (und sehenswert) gemacht hatte, musste man sich halt was Neues einfallen lassen. Dazu kam der Tourismus mit so bekannten Wintersportorten wie Oberwiesenthal. Das ganze ähnelt dem Schwarzwald und ist einen Urlaub wert. Warum nicht für uns? 

Wir „mussten“ weiter und waren zur Mittagszeit in Karlovy Vary (Karlsbad). Mir kann einer sagen, was er will, aber ich habe einen besseren Appetit, wenn der Schweinsbraten mit Knödel und ein frisches Pils zusammen nur 6 Euro kosten. Der Crêpe mit Nougat für 1,40 schmeckte meiner Frau ebenfalls deutlich besser als am Vorabend im Klein Paris für 3,60. Beim Verdauungsspaziergang durch die City waren wir überrascht, wieviel Luxus in dieses einst weltberühmte Bad schon zurückgekehrt ist. Besonders die Edelboutiquen mit sündhaft teuren Exponaten zielten auf die neureichen Russinnen, wenn ich die vielen Schilder in kyrillischer Schrift richtig deutete. Und überall wird gebaut und verschönert (mit Geld aus Brüssel?).

Die Welthauptstadt des Bieres, Plzen (Pilsen) war uns nur einen kurzen Besuch wert, zumal dem Genuss des Urquells leider ein Riegel vorgeschoben war. 

Eine gute Stunde später suchten wir Schutz vor einer kräftigen Schauer im Wartehäuschen einer Bushaltestelle. Zufällig war gegenüber die Dorfkneipe mit Fremdenzimmern und im Ausschank hatten sie natürlich Pilsener Urquell vom Fass. Man merkt, Regen kann nicht nur dem Landwirt „zum Wohle“ gereichen.


Teils auf kleinen Sträßchen tourten wir durch Tschechei, bis uns die Erkenntnis kam, das ist alles schön und gut, aber so kommen wir nie nach Rumänien. Also wieder auf die Autobahn gehängt, Richtung Brünn. Vor dieser Stadt hatten Plattenbauten einen ganzen Hügel überwuchert. Fast drohend ragten die dunklen Hochhäuser gen Himmel, bedrückend. Wie wohltuend anders war dann im historischen Zentrum die Fußgängerzone. Wir machten einen Bummel über den quirligen Wochenmarkt und schlürften ein Käffchen in einem Straßencafe im strahlenden Sonnenschein, umgeben von historischen Gebäuden, deren Dimensionen, anders als die Wohnsilos draußen, dem Auge wohl taten. 

Die Weiterreise durch die Slowakei verlief unspektakulär. Es gab schöne Landschaften, wunderbare historische Stadtzentren, günstige Preise, nette Leute. Diese Geschichte schreibe ich drei Jahre nach der Reise, deshalb fehlen so manche Details. Meine Digitalkamera fiel aus, somit ist auch diese Gedankenstütze nicht vorhanden. (Erst in Rumänien kaufte ich eine Wegwerfkamera, aber die Fotos sind in irgendeinem der vielen Schuhkartons.)


Dann kam Ungarn und leider fast nur negative Eindrücke sind im Gedächtnis geblieben. Das fing an mit der Vignette für die Autobahn. Tschechei und die Slowakei kassierten nur bei den Autofahrern. Ungarn ließ auch die Zweiradfahrer nicht ungeschont. Also versuchte ich, nur Landstraßen zu nehmen. Dazu gehört eine leider nicht vorhandene Ortskenntnis. Wer schon mal in Österreich oder der Schweiz unterwegs war, wird das kennen. Alle Verkehrsschilder führen unweigerlich auf die Autobahn. Dann gibt es plötzlich kein Wenden mehr, und wer ohne Pickerl unterwegs ist, kann nur beten, dass er bis zur nächsten Ausfahrt nicht erwischt wird. Sonst wird‘s richtig teuer.

So fuhr ich also nicht auf dem Autobahnring um Budapest, sondern mitten durchs Stadtzentrum. Das ist allenfalls für die Sozia ein Vergnügen, während es für den Fahrer die blanke Hölle bedeutet. Den dichten Verkehr und die oftmals rüde Fahrweise der Hauptstädter kannte ich schon aus anderen Metropolen. Auch Straßenbahnschienen sind kein reines Vergnügen, aber zu meistern. Was die Ungarn sich in der Hauptstadt (aber auch auf dem platten Land) als unübertreffliche Gemeinheit ausgedacht haben, sind die Spurrillen. Generationen von Lastwagen haben den zu weichen Straßenbelag deformiert. Es gibt, ungelogen, bis zu 15 cm tiefe Prachtstücke dieser Gattung. Oftmals mit ganz steilen Flanken. Da erhascht man ein Verkehrsschild und weiß, dass man hier abbiegen muss, aber es geht nicht. Ist man einmal hineingeraten, fährt man in einem 40 cm breiten Graben und hat nichts als Angst. Das kann hunderte Meter so gehen, bis man einen Ausweg findet. Das Ende vom Lied: Wir waren auf einer Autobahn (ohne Vignette) Richtung Nordosten, obwohl wir nach Süden wollten. Eine Querverbindung fand ich nicht auf der Landkarte und Einheimische bestätigten, dass nur Umkehren hilft. Also, wieder rein in den Moloch. Als ich endlich draußen war, habe ich drei Kreuze geschlagen. Mir war nach einem Schnaps zumute.

Dann war da noch die Sache mit dem Storch. Der hatte im Eifer der Futtersuche nicht auf tieffliegende Suzukis geachtet. Höchstens 50 cm trennten meinen Kopf von seinem Körper. Genaueres kann ich nicht sagen, da ich instinktiv mit dem Kopf auf den Lenker knallte. Das hätte im wahrsten Sinne des Wortes ins Auge gehen können. Auch für den Storch und seine Brut.

Fast 1900 km hatte ich auf dem Zähler als ich die ungarisch-rumänische Grenze passierte. Bis Constanza am Schwarzen Meer waren es auf dem direkten Weg noch rund 1000 Kilometer. Auf dem indirekten, den wir wählten waren es weitere 1900.


Rumänien zeigte sich nicht gerade von seiner besten Seite, als wir nach umständlichen Grenzkontrollen endlich ins Land kamen. Am Straßenrand Industrieruinen und -brachen soweit das Auge reichte. Beklemmung kam auf. Schlaglöcher forderten die ganze Aufmerksamkeit. Das eingetauschte Geld hatte vier Nullen zuviel und verwirrte dadurch. Endlich waren wir in Oradea, der großen Stadt angelangt, die wir für die Übernachtung ausgeguckt hatten. Da gestaltete sich die Hotelsuche unerwartet schwierig. Die hatten Preise, die wir einfach nicht bezahlen wollten und konnten. Endlich, vielleicht beim fünften Versuch, gab uns die nette Dame an der Rezeption einen guten Tip. Sie rief freundlicherweise auch dort an und reservierte in einem Hotel ein Zimmer mit Frühstück für 35,- €. Dazu noch ein Schmankerl! Sie bestellte uns ein Taxi, das als Guide diente und von unserem Hotel bezahlt wurde. 

Später machten wir uns auf zu einer Wanderung in die Innenstadt. Immer dem Schild „Centru“ folgend. Erst nach fast einer Stunde erkannten wir, dass diese Schilder für Autos galten. Wir waren im großen Bogen um das Zentrum herumgelaufen. Ein leckeres Abendessen und ein großes Bier haben mich getröstet. Die Heimfahrt haben wir größtenteils mit einer Straßenbahn gemacht, die schlingerte, wie ein Schiff auf hoher See. Sie fuhr uns fast bis vor das Hotel. Anscheinend ist Straßenbahn fahren in Rumänien für Ausländer kostenlos, denn es hat uns niemand nach einem Fahrschein gefragt.

Am nächsten Morgen, beim Frühstück kamen wir mit österreichischen Geschäftsleuten ins Gespräch, die von den vielen Möglichkeiten schwärmten, die sich denen bieten, die jetzt schon einen Fuß in der Tür hätten. Es herrsche eine wahre Goldgräberstimmung. Diese positive Stimmung hat uns auf der ganzen Reise im Land begleitet. Die Rumänen sind definitiv ärmer als die Deutschen. Aber in ihrem Land geht‘s aufwärts und bei uns stagniert es, wenn auch auf hohem Niveau. Überall wurde gebaut und, was mich mehr als überraschte, auch viele neue Kirchen. Kleine in den Dörfern und riesige in den Städten.


In Oradea hatten wir also übernachtet und wandten uns nach Nordwesten, entlang der ungarischen Grenze. Das Land war genauso platt und nichtssagend, aber in der Ferne sahen wir die Berge, die uns lockten. Es war das Maramura-Gebirge von dem in unserem Reiseführer so begeistert berichtet worden war. So fuhren wir dann immer weiter in die Bergwelt, durch Dörfer, in denen die Zeit stehen geblieben war. Gänse und Hühner bevölkerten die Hauptstraßen neben unzähligen Pferdefuhrwerken. Hin und wieder ein Dacia Pickup (In Rumänien gebauter Wagen unter Renault Lizenz), manchmal mit einem solchen Berg Heu beladen, dass wir erst nach dem Überholen sahen, was darunter war. Auffallend waren die großen, reich mit Schnitzereien geschmückten Toreinfahrten. Es schien, als hätte über Generationen ein Wettbewerb stattgefunden, wer denn nun die schönste hatte. Daneben war die moderne Technik eher ärmlich. Es gab viele Fernsehantennen, die aus Bohnenstangen bestanden, auf die man die Elemente aus steifem Draht aufgenagelt hatte. Wenn's dann funktioniert, heiligt der Zweck die spärlichen Mittel, die ein Bauer zur Verfügung hatte.

Immer weiter kamen wir in die Bergwelt.

 

Dörfer gab es keine mehr und auf einer Passhöhe waren wir ganz allein mit einer Schafherde und ihrem Schäfer. Eine himmlische Ruhe, friedvolle Stimmung. Wir konnten uns kaum losreißen. Langsam kroch die Kälte in uns hoch. Wir mussten wieder hinunter. An reißenden Gebirgsbächen entlang, auf unmöglichen Straßen ging es wieder ins Tal zu den Menschen. Fast den ganzen Tag hatten wir auf dem Bock gesessen. Nur 150 km das magere Ergebnis. Doch die schöne Bergwelt und unsere Empfindungen kann man nicht in Kilometern messen.


Manchmal werde ich gefragt, wie es nur möglich sei, dass ich mich auf solche Touren traue. Immerhin geht es durch Länder, in denen ich kein Wort der Sprache verstehe, deren Sitten und Gebräuche ich nicht kenne, deren Speisen mir fremd sind. Die kein Werkstattnetz für Motorräder besitzen und keinen ADAC mit seinen „Gelben Engeln“.

Da habe ich als erstes das, was man den Kölnern als Naturell nicht nur andichtet. Da heißt es schlicht und ergreifend: „Et kütt wie et kütt“ (Es kommt wie es kommt) und auch „Et hätt noch immer jot jejange“ (Es ist noch immer gut gegangen). Darin steckt viel Gottvertrauen aber auch Fatalismus. Zweitens bin ich nicht allein. Meine Frau behütet und beschützt mich, vor allem baut sie mich auf, wenn es mir mies geht. Und sie treibt mich an. Ohne sie wäre ich nicht 1996 nach Lissabon gerollert und nun auf dem Weg zum Schwarzen Meer. Wenn man drei Wochen buchstäblich aufeinanderhockt, bleibt es natürlich nicht aus, dass von Zeit zu Zeit Dampf abgelassen werden muss. Doch wir sind als Team unschlagbar.


Die Besichtigung von Klöstern war angesagt. Davon gibt es im ganzen Land hunderte. Einige der schönsten sind im Norden Rumäniens, in den Ostkarpaten. Diese Klöster sind mit Leben erfüllt, nicht nur wegen der frommen Menschen, die in den Klosterkirchen beten. Die Orden haben erstaunlicherweise Zulauf. Viele, auch junge Frauen und Männer tragen die Kutten. Ein Frauenkloster beherbergte sogar 400 Nonnen. Alle Kirchen sind überreich geschmückt, manchmal auch draußen an den Fassaden. 

Im Klosterhof sitzen und meditieren bis im Inneren eine himmlische Ruhe einkehrt, das hätte ich von mir selbst nie erwartet. Das war jedesmal ein Erlebnis und ein wohltuender Kontrast zur Hektik des Reisealltags.

 

Man kann sich an alles gewöhnen. So habe ich mich (und meinen Körper) daran gewöhnt, mittags nach dem Essen ein Schläfchen zu machen. So eine halbe bis dreiviertel Stunde „die Augen pflegen“. Dabei schlafe ich tief und fest und bin danach zu neuen Taten bereit. Im Urlaub reicht mir der Straßengraben oder die grüne Wiese an einem Parkplatz. Eines Tages in Rumänien wollte einfach keine geeignete Stelle kommen. Schließlich muss der Platz für die Bessere Hälfte, die ja nicht schläft, ein wenig attraktiv sein. Als es auf drei Uhr zuging, kämpfte ich mit der Müdigkeit. Und dann passierte es tatsächlich. Der berüchtigte und gefürchtete Sekundenschlaf hatte mich am Lenker des Rollers voll erwischt! Da gab‘s für meinen Schutzengel aber alle Hände voll zu tun. Erstens schenkte er mir eine leichte Linkskurve, in der ich geradeaus fuhr (von wegen voll in den Gegenverkehr). Dann hatte er einen Abschnitt ohne Leitplanke oder eine tiefe Schlucht gewählt. Und schließlich begann gerade dort, wo ich den Asphalt verließ, ein recht breiter und langer mit Schotter bedeckter Streifen. Da wurde ich vielleicht hell wach. Routiniert brachte ich die Fuhre gefühlvoll bremsend zum Stehen.

Piatra Neamt hieß die Stadt, an deren Ortseingang das passierte. Der Name wird mir wohl ewig im Gedächtnis bleiben.


Piatra Neamt war auch der Ausgangspunkt für eine Fahrt durch die spektakulärste Schlucht, die ich jemals in meinem langen Leben gesehen habe. Die war so eng, dass man die Straße teilweise in den Fels hauen musste, aber gottseidank nicht als Tunnel. 

So hatte man neben sich den reißenden Gebirgsfluss und ganz oben konnte man schon mal ein Stück Himmel über den steilaufragenden Felsen sehen. Schade, hier wäre ich gern Sozius gewesen. So musste ich mich voll auf die Straße konzentrieren. Der Schlusspunkt dieses Abstechers war der „Mördersee“. Gespenstisch ragen schwarze, abgestorbene Fichten aus dem Wasser. Da war im Jahre 1838 bei einem Bergrutsch ein ganzer bewaldeter Steilhang ins Wasser gedonnert. Nach einem Kaffee auf der Seeterrasse ging‘s wieder zurück. Die großartige Schlucht nun aus anderen Perspektiven.


Am nächsten Tag trafen wir in einem Städtchen eine junge Deutsche aus Dortmund. Sie stammte aus dieser Stadt und bot sich als Dolmetscherin an. Wir redeten über dies und jenes, dann lud sie uns spontan zu sich ein. Wir folgten ihrem Wagen über ein Gewirr von kleinen Straßen bis in das Dorf zu dem Häuschen ihrer Eltern. Wir wurden überaus herzlich empfangen und bewirtet. Ihr Vater, ein pensionierter Bauingenieur, erzählte aus seinem Berufsleben und zeigte uns dann seinen riesigen Nutzgarten, in dem er alles an Obst und Gemüse anbaute, um mit der kargen Rente zu überleben. Nur deshalb war er als Rentner aufs Dorf gezogen. Sogar eine kleine Pelztierzucht hatte er aufgezogen. Dann erklärte er seiner Tochter, die den Führerschein erst in Deutschland gemacht hatte, einige Besonderheiten des rumänischen Straßenverkehrs: „Das Wichtigste, auf das Du in der Stadt achten musst, sind nicht andere Wagen, Fußgänger oder Ampeln. Das sind fehlende Kanaldeckel.“ Mit Gänsehaut dachte ich daran, mit dem Roller in so eine Falle zu tappen.

Zum Abschied schenkten die lieben Leute uns zwei Gläser Marmelade, eine Flasche selbst gekelterten Wein und eine Flasche selbstgebrannten Schnaps. Wir waren reichlich beschämt, denn an das Thema Gastgeschenke hatten wir nicht gedacht.


Eine Stunde nach diesem Erlebnis von beeindruckender Gastfreundschaft wollten wir in einer Bank Geld tauschen. Dabei sollten wir auch den Pass zeigen. Dann ging eine hektische Suche los. Pass weg, das durfte nicht wahr sein! Dann fiel meiner Frau das Hotel ein. Wir hatten abends den Pass abgegeben und morgens beim Auschecken nicht zurückverlangt. 150 km ging‘s zurück. Wieder durch Piatra Neamt, bis fast an die Einfahrt zur Schlucht. „Was du nicht im Kopf hast, musst du im Benzintank haben“, lautet die moderne Version eines alten Sprichworts.


Tags darauf schlugen wir uns auf zumeist kleinen Straßen in Richtung Schwarzes Meer durch. In der Stadt Braila sollte es eine Fähre über die Donau geben. Tatsächlich, im Zentrum ein Hinweis. Aber nur einer. Dann waren pfadfinderische Qualitäten angesagt. Die Donau musste östlich von uns sein. Also wurde gesucht und gesucht. Asphaltiert  waren die Straßen schon lange nicht mehr. Endlich kamen wir auf eine Piste mit mehr Verkehr. Das musste es sein und das war es denn auch. Obwohl die Donau über 200 km durchs Land fließt und noch einmal über 300 km die Grenze zu Bulgarien bildet, gibt es insgesamt nur vier Fähren und drei Brücken über den Strom. Die Fähre war ein besserer Schrotthaufen, mit dem sich ein Skipper mangels Konkurrenz eine goldene Nase verdiente. Auf dem Schiff kamen wir ins Gespräch mit einem deutschen „Geschäftsmann“. Nachdem er in Sachsen in der Baubranche eine fette Pleite hinterlassen hatte, war er hier ins Kiesgeschäft eingestiegen. „Jeder braucht Kies, aber nur ich kann wirklich liefern“, verkündete er stolz. Er gab uns seine Visitenkarte und erklärte gönnerhaft, er könne uns aufgrund seiner weitreichenden Kontakte helfen, wenn mal ein Problem auftauchen sollte. Vielleicht hat er ja inzwischen eine goldene Nase.

 

Wir waren im Bereich des Donaudeltas etwas von der großen Route abgekommen. Genau genommen war hier die Welt mit Brettern zugenagelt. Und wir waren auf der anderen Seite, da wo die Nägel umgehauen wurden. Wir hielten auf einer staubigen Straße inmitten eines Dorfes, weil vor einem Haus zwei Tische mit Stühlen standen. Zwei Kaffee könnte sie uns schon machen, meinte die Inhaberin. Während sie drinnen werkelte, hatte meine Frau einen Laden entdeckt. Ein Stück Käse und Tomaten brachte sie mit und fand dann auch noch den Bäcker für ein kleines Weißbrot. Der Kaffee, der dann kam, heißt bei uns Cowboykaffe. Kaffeemehl (nicht Pulverkaffee) in die Tasse und heißes Wasser drauf. Zucker hatte die eifrige Dame auch gleich dazugegeben und uns das Rühren erspart. Während wir mit Genuss unser Mittagessen verzehrten kamen alle Dorfbewohner betont unauffällig an uns vorbeigewandert. Wir wurden bestaunt wie Marsmenschen, besonders einen Roller hatten sie wohl noch nie gesehen. So hatten wir doppeltes Vergnügen: Leckeres Essen und die Aufmerksamkeit des geschätzten Publikums. Sensationell war allerdings der Preis für das ganze. Er betrug umgerechnet für beide zusammen nur 0,75 €, einschließlich Kaffee.


Warum mussten wir Dämel auch ans Schwarze Meer fahren. Ausgerechnet nach Mamaia, das schon seit Jahrzehnten von Neckermännern bevölkert wurde. Das fing am Ortseingang an, wo noch Kontrollposten wie zu Zeiten der Diktatur, die Ein- und Ausreisenden anhielten. Dann Hotelhochhäuser so weit das Auge reichte und Übernachtungspreise nur wie mitten in Deutschland (hätten ja auch wie auf Sylt sein können. Haha). Wir fanden eine bezahlbare Unterkunft in einem Hotel, dessen Umbau noch nicht weit fortgeschritten war. Über Berge von Bauschutt erreichten wir ein unrenoviertes Zimmer, immerhin mit Bad und WC und Balkon zum Meer. In der Abenddämmerung machten wir noch einen Strandbummel und gingen für einen Absacker auf die Terrasse des Best Western Hotels. Kaffee und Bier kosteten das Dreieinhalbfache des landesüblichen Preises. Gut, dass wir am nächsten Morgen flüchten konnten.


Constanta (hier muss ich einfügen, dass im Rumänischen ein Buchstabe „T“ existiert, der unten ein kleines Häkchen hat. Das bedeutet, es wird wie ein „Z“ ausgesprochen.  Also heißt die Stadt Constanza. Auch das t im Ortsnamen Neamt wird wie z gesprochen) ist eine Metropole am Schwarzen Meer, hat einen riesigen Hafen, viele historische Gebäude und Kirchen, somit also eine Reise wert. Für den, der‘s mag. Wir hatten uns einen Platz am imposanten Casino mit Ausblick aufs Meer und den Hafen ausgesucht, um eine kleine Rast nach der aufreibenden Fahrt durch den Großstadtverkehr zu machen. Bald gesellte sich ein Einheimischer zu uns und erzählte uns viel Wissenswertes und Interessantes aus seiner Stadt. Nach einer Viertelstunde wollte er dann seinen Lohn als Fremdenführer haben. Arbeitslos, Kinder schreien nach Brot, die ganze Leier, um uns zu erweichen. Eine Cola habe ich ihm spendiert, um seine Sprechwerkzeuge zu schmieren. Dann half nur eins: Helm aufsetzen, Abflug.


Bukarest hieß die Richtung. Nun wollten wir nicht einfach über die Autobahn brettern, sondern auch noch etwas vom Land sehen und wählten Nebenstraßen. So kamen wir an den Donau-Schwarzmeer-Kanal, ein Prestigeobjekt des Diktators Ceaucescu.

Die Donau wendet sich, kurz bevor sie das Schwarze Meer erreicht hat, nach Norden und fließt noch elend weit durch das Land. Mit einen Kanal von nur 64 km Länge erspart sich die Schifffahrt 240 km. Dieses Vorhaben hatte sich der Diktator zur Chefsache gemacht. Ohne Rücksicht auf Verluste, mit marodem Gerät, das der Landwirtschaft entzogen wurde und zigtausend Sträflingen wurde gebaut. Die Sträflinge, die wie Sklaven gehalten wurden, kamen aus dem eigenen Land. Es genügte, einer Minderheit anzugehören oder angeblich etwas gesagt zu haben. Schätzungen gehen davon aus, dass 30.000 Menschen durch Hunger, Entkräftung, Seuchen und mordende Aufseher bei diesem Kanal ihr Leben lassen mussten. Der Nutzwert ist fraglich, wenn man die wenigen Schiffe auf der Donau sieht.

Kurz vor Bukarest wechselten wir auf die Autobahn, weil die Landkarte einen so schönen Außenring zeigte. Wer sich auskennt, findet den, wer nicht, der ist verloren. Wegweiser sind absolute Mangelware. Fast zwei Stunden bin ich bei brütender Hitze durch den Feierabendverkehr geturnt, bis ich auf einer Ausfallstraße nach Norden war.


In der nächsten größeren Stadt sind wir dann im PLAZA abgestiegen und das in des Wortes wahrer Bedeutung. Der Hotelmanager bestand eisern darauf, dass mein Roller nicht vor seinem Haus parkt. „Sehen Sie nicht die Zigeunerkinder da hinten? Die spionieren alles aus. Und morgen früh fahren Sie mit irgendetwas weiter, nur nicht mit Ihrem Skooter“, sagte er in fließendem Englisch. Ich konnte mich drehen und wenden, er bestand darauf. Er holte noch zwei Lakaien, öffnete den zweiten Flügel des Hoteleingangs und dann fuhr ich mit tatkräftiger Hilfe erst drei, dann noch mal vier Stufen die Treppe hoch bis hinter die Theke der Rezeption und stieg auf dem eleganten Marmorboden des Foyers ab.

Die Hotelzimmer waren schlicht gesagt marode, aber der Preis angemessen. Herausragend war das Frühstücksbuffet, vielseitig und alles vom Feinsten. So gestärkt konnte ich dann wieder die Stufen runterreiten. Muss man erlebt haben!

 

Am Abend des Tages, der mit dem denkwürdigen Treppenritt begonnen hatte, fanden wir eine Pension in der kleinen Stadt Fagaras, um unsere müden Häupter zu betten. Am Frühstückstisch kamen wir mit einem Herrn aus Offenburg ins Gespräch, der eine überraschend gute Kenntnis Rumäniens hatte. Es gibt Menschen, die behaupten steif und fest, nur in dieser oder jener Region kann man „richtig“ Urlaub machen. Wer kennt sie nicht, die „Toskanafraktion“ oder die Nordlandfreaks. Nicht zu vergessen die Leute, die sich ein Baguette unter den Arm klemmen, Baskenmütze tragen und „Savoir vivre“ richtig aussprechen können. Unangenehm aufgefallen sind mir die deutschen „Irlandtümler“. In grobem Strickzeug und ein paar Brocken Gälisch von der Volkshochschule suchen sie das ursprüngliche, einfache Leben in der Kate mit dem qualmenden Torffeuer. Nicht ganz ins Bild passt der Volvo Kombi vor der Tür. Was hat das mit Rumänien zu tun?

Da gibt es im Internet unter „http://www.karpatenwilli.com“ einen Menschen, der behauptet, nur Rumänien sei „das“ Urlaubsland. Und einen seiner Jünger haben wir leibhaftig getroffen. Durch Zufall kamen wir morgens beim Frühstück ins Gespräch. Dann hat dieser nette Herr so liebevoll von Rumänien geschwärmt, hat von seinen zahllosen Reisen durch das Land erzählt. Er berichtete von einsamen Bergwanderungen und gefährlichen Höhlenerkundungen. Massenhaft hatte er Tips und Routen für uns parat, die für mindestens zehn Urlaube ausreichend wären. Als wir dann Karpatenwilli erwähnten erzählte er uns von seiner Freundschaft mit ihm, von gemeinsamen Vortragsreihen und Unternehmungen. Er war sich sicher, dass kein Rumäne sein Land besser kenne, als der Deutsche Willi. Bei dieser fast einstündigen Unterhaltung wurden unsere vielfältigen positiven Eindrücke über Land und Leute vertieft.  

Er gab uns aber auch noch einen brandheißen Tip für ein Highlight ganz in der Nähe.


Man nennt sie die Trans-Fagaras-Strasse. Eigentlich nichtssagend. Dann geht es erst langsam, dann immer aufregender in die Südkarpaten hinauf. Das Panorama ist atemberaubend. Schöner und wilder ist es auch nicht in den Alpen. Dann kommen wir an eine Ansiedlung mit Hotels und großem Parkplatz. Wie der Name „Cascada“ vermuten lässt, stürzt ein mächtiger Wasserfall in die Tiefe. Wir sind begeistert. 

Doch dann entdecken wir, dass die Straße noch weiter in der Schlucht bergan führt. Schmal ist sie jetzt, mit haarsträubenden Kehren. Auch hier wäre ich lieber Sozius. Immer höher hinauf, immer gewagter die Streckenführung. Nach endlos scheinenden Kurven ist die Passhöhe von 2047 m erreicht. Imbissbuden, Souvenierläden, eben der übliche Touristenrummel. Aber eine grandiose Aussicht. Nur, wir waren noch nicht über den Berg. Ab hier wurde die Straße durch einen Tunnel auf die andere Seite des Gebirges geführt. An dessen Einfahrt waren Schilder, die eine Weiterfahrt untersagten. Trotzdem fuhren immer wieder Auto rein, andere kamen raus. Dann sprach ich mit Bikern, die ich hatte ausfahren sehen. „Du musst höllisch aufpassen. Drinnen ist Eis auf der Straße“, warnten sie mich. So wie ihr mich kennt, gab es jetzt erst recht kein Halten. Der Tunnel war absolut unbeleuchtet, eng, es tropfte von der Decke, fiese Schlaglöcher waren als Favoritentöter eingebaut und natürlich immer wieder Eisflächen. Als wir wieder ans Tageslicht kamen, habe ich mir selbst auf die Schulter geklopft. „Hast du gut gemacht, Bruno.“ Der Blick ging weit hinauf zu den schneebedeckten Gipfeln und talwärts konnte man hin und wieder die Serpentinen sehen, die nun vor uns lagen.


Sobald wir aus dem Hochgebirge wieder in die lieblicheren, wärmeren Gefilde kamen, sahen wir sie in unvorstellbaren Massen. Die rumänischen Picknicker. Am Samstag und Sonntag packt der Rumäne Weib und Kinder, Schwiegermutter und Hund und wahre Unmengen Lebensmittel, auch in flüssiger Form in sein Auto und sucht und findet eine Wiese neben der Straße, auf der er sich niederlässt. Dann wird der Grill angeheizt, Musik aus dem Autoradio bringt Stimmung, bis Männlein und Weiblein vor lauter, kindlicher Lebensfreude umherspringen. Bei entsprechenden Temperaturen zeigen die Männer ihren blanken Oberkörper und die Damen, auch die Omas haben keine Hemmungen sich im BH zu zeigen. Leider hat uns keiner zu sich eingeladen. Die verführerisch duftenden Bratwürste waren wohl abgezählt.


Eine kleine Geschichte auf der großen Reise sollte auch nicht in Vergessenheit geraten. Nach dem Verlassen unseres Hotels am Morgen machten wir noch einen ausgedehnten Bummel durch die Kleinstadt. Irgendwann sah meine Frau einen Friseurladen und sagte: „Du musst dringend zum Friseur, so wie du aussiehst. Man kann sich mit dir ja nicht mehr blicken lassen.“ Was tut man nicht alles um des lieben Friedens willen.

Also rein in den Laden und der älteren, robusten Lady mein Anliegen verklickert. Sie machte ihre Arbeit zu meiner Zufriedenheit, stutzte sogar meinen Schnäutzer und die Augenbrauen. Den Preis für diesen Spaß rechnete ich in Euro um und kam auf 7,50 €. Naja. Als ich meiner Frau den Betrag in Lei nannte, rechnete sie auch um. „Ich möchte auch mal beim Friseur nur fünfundsiebzig Cent bezahlen!“ Tatsächlich hatte ich bei den vielen Nullen eine zuviel gesehen. Nun konnte ich besser damit leben, dass dieser Friseurdrachen mangels eines Pinsels mindestens fünfmal mit ihrer kräftigen Lunge meinen Nacken ausgeblasen hatte. Und dass der Umhang an unendlich vielen Stellen gestopft war.


Bei unseren Reisen durch die Länder des ehemaligen Ostblocks haben wir immer mal wieder in Luxushotels übernachtet. Das waren sie zumindest, als sie gebaut wurden. Prächtige Fassade, imposantes Foyer, riesige Treppenaufgänge, große Zimmer, eben Luxus pur. Teilweise waren es Tagungshotels, in denen sich die Parteielite zu Kongressen versammelte. Die aufwändig gestalteten Säle mit Kronleuchtern und Wandvertäfelungen, der blanke Marmorboden, das Silberbesteck und die Kristallgläser waren für die Herren Genossen gerade gut genug. Und heute? Überall fehlt das Geld für dringende Reparaturen, Renovieren der veralteten Sanitäranlagen. Vor allem aber, die frühere Kundschaft fehlt vollkommen und die verwöhnten Urlauber aus dem Westen meiden diese Häuser. Um über die Runden zu kommen, werden günstige Übernachtungspreise gemacht.

So haben wir einmal in einem Festsaal gespeist, der gut und gerne 300 Plätze hatte, von denen nur 5 besetzt waren. Das hervorragende Essen wurde auf feinem Porzellan gereicht, die Cola im Bleikristall. Über uns funkelten die Lüster. Der Preis war für unsere Begriffe lächerlich niedrig. 

Die besten Schnäppchen macht man, wenn eines dieser Hotels einen Teil des Hauses aufwändig renoviert hat. Die gut situierte Kundschaft zahlt 100,- € für das Doppelzimmer mit Frühstück. Die Schnäppchenjäger steigen für 35,- € im alten Teil des Hauses ab. Aber der Service ist für alle gleich. Das fängt an bei der Rezeption mit ausgebildetem, mehrsprachigem Personal. Geht weiter mit der wunderbar weichen Bettwäsche, bis hin zum Luxusklopapier. Auch das Frühstück löst regelrecht Begeisterung aus.

Eines dieser Häuser hatten wir bei unserer letzten Übernachtung in Rumänien in Arad. Erbaut 1841, mitten im Zentrum. Frühstück gab es à la Carte. Ein wahrhaft schöner Abschied.


Dann stand die Heimreise an. Vor der Grenze zu Ungarn, damals noch EU-Außengrenze, stauten sich kilometerlang die LKWs. Die letzten Lei wurden verbraten, Forint war angesagt.


Kulturschock umgekehrt. Man glaubt es nicht, aber so haben wir es empfunden. Die Straßen waren nicht wiederzuerkennen. Keine Schlaglöcher, die Pferdefuhrwerke und Radfahrer verjagt, Gänse und Enten waren hinter Gittern. Die Beschilderung war nur vorbildlich zu nennen. Das ganze Land wirkte wie frisch gekehrt, wenn man aus der „Wildnis“ kam. Aber auch die Spannung war dahin. Alle Speisekarten waren mehrsprachig. Von wegen „Ciorba de Burta“ oder „Cascaval“, „Apa“ und „Pofta buna“. Viel mehr Rumänisch hatte ich nicht gelernt, haha. (Kuttelsuppe, Käse, Mineralwasser, Guten Appetit). Das Wort „Merci“ kannte ich schon vorher. 


Es ging unter gleißender Sonne durch die eintönige Puszta, Budapest wurde aus gutem Grund weiträumig umfahren. Abwechslungsreiches, hügeliges Land empfing uns in der Slowakei. Wieder Forint verbraten, Slowakische Kronen eingetauscht. Bei der Ausreise in die Tschechei auf einem besseren Feldweg gab es keine Möglichkeit mehr zum „verbraten“. Keine Bank in der nächsten Stadt wollte slowakische gegen tschechische Kronen tauschen. Die waren doch bis vor kurzem noch ein gemeinsamer Staat! Da habe ich die wenigen Lappen auf der Theke wütend liegen gelassen. 

Weiter ging‘s gen Westen. Alles unspektakulär, aber das Abenteuer hatten wir ja schon erlebt. Dann war da noch der elende Stress auf dem Autobahnring um Prag zur Feierabendzeit. 

In Karlsbad wollten wir übernachten, doch ein Gewitter setzte ein. Schnell in ein neben der Straße liegendes Dorf und in der Kneipe Schutz vor dem Regen gesucht. So eine typisch dörfliche Gemütlichkeit herrschte in der Gaststube, die von Einheimischen bevölkert war. Ein Zimmer hatte der Wirt auch noch für uns. Nur der Preis schien uns unangemessen. „Wir sind ein Golfhotel und haben Gäste aus der ganzen Welt, die wegen eines Turniers angereist sind“, sagte er zur Rechtfertigung. Diese runtergekommene Dorfkneipe ein Golfhotel? Tatsächlich sahen wir später im Haus vornehme amerikanische Golfspieler. Am nächsten Morgen hat der Herr des Hauses  uns Eier mit Speck serviert. „Das Frühstück schenke ich euch.“ Herzlichen Dank Herr Golfhotel. 


Über Eger fuhren wir nach Franken und in Bayreuth auf die Autobahn. Sonderbares Detail, mir wurde plötzlich bewusst, dass ich drei Wochen keine Windkraftanlagen mehr gesehen hatte. Noch eine letzte Übernachtung am Ufer des Mains, dann bollerten wir die letzten dreihundert Kilometer bis in die Heimat. Insgesamt wurden es schließlich 6.675 km ohne Unfall, ohne Defekte, gottseidank.


Am nächsten Morgen, am sonntäglichen Frühstückstisch meinte meine bessere Hälfte: „Jetzt hätte ich Lust auf eine nette Rollertour.“ Manche kriegen eben den Hals nicht voll. Überredet.


 

Urlaub in Osteuropa Teil 2

2005


Es ist immer ein fast sinnloses Unterfangen, von einem Urlaub zu berichten, der mehr als zwei Jahre zurück liegt. Keine Aufzeichnungen habe ich während der Reise gemacht, ja nicht einmal die Route festgehalten. So wird das ein kurzer Bericht und das was mir tatsächlich in Erinnerung blieb, ist vielleicht desto interessanter.


Die Anreise erfolgte nach bekanntem Muster. Durch die Tschechische und Slowakische Republik nach Ungarn und weiter nach Rumänien. Unser Ziel war eigentlich Bulgarien, daher haben wir auf der langen Fahrt dahin keine Sehenswürdigkeiten bestaunt. Nur Bukarest, das auf der Strecke lag, habe ich „todesmutig“ angesteuert. Zu tief saß noch der Schock vom Vorjahr.

Wir nahmen, was eigentlich selten ist, die Autobahn um schneller voran zu kommen. Richtung Hauptstadt.

Dann ein jäher Schreck. Schlaglöcher aus heiterem Himmel.


Das veranlasst mich, über diese fiesen Zeitgenossen ein paar Worte zu verlieren. Die heimtückischen Erbauer wiegen den unbedarften Zeitgenossen erst mal ausreichend in Sicherheit. Da können zehn Kilometer topfebene Fahrbahn dazu verleiten, auch mal einen Blick auf die schöne Gegend zu riskieren. Dann suchen sie sich ein Waldstück, damit die Fahrbahn im Schatten liegt und ihre Fallen perfekt tarnt. Um auf Nummer Sicher zu gehen, verwenden sie zwei bis drei Stück, schön nahe beieinander liegend. Die Abmessungen wählen sie so, dass man bequem ein Schwein darin beerdigen kann. Ich sage Schwein, nicht Spanferkel! Die Vollbremsung aus 100 km/h reicht nicht aus. Allenfalls hat man noch die Wahl zwischen Pest und Cholera, dann kommt der Schlag, nach dem die Löcher benannt sind. Der Fahrer krampft sich am Lenker fest, die Sozia macht einen Luftsprung und droht, verloren zu gehen. Übrigens, richtig tiefe Schlaglöcher sind absolut ungefährlich. Da haben Spielverderber Stangen oder junge Bäume reingesteckt. Die sieht man kilometerweit vorher.

Was in Deutschland zur Vollsperrung der Autobahn führen würde, ist hier normaler Alltag. Landstraßen und Nebenstraßen fährt man sowieso etwas langsamer. Trotzdem fällt man immer wieder auf die pfiffigen Konstruktionen rein. Bulgarien hat ebenfalls begnadete Schlaglochkonstrukteure und in Serbien haben sie schon seit Titos Zeiten Meisterwerke abgeliefert. 

Nicht unerwähnt sollten die zahllosen Prachtexemplare in den Innenstädten bleiben. Gut abgelenkt vom Verkehrsgeschehen, das die volle Aufmerksamkeit erfordert, haben sie leichtes Spiel, ihr schändliches Unwesen zu treiben.


Besatzung und Burgman hatten den heimtückischen Anschlag überlebt. Bukarest konnte kommen. 

Da ich kein Freund von ausgedehnten Wanderungen in Stadtkernen bin, auch einem Schaufensterbummel garnichts abgewinnen kann, haben wir nur den „Palast des Volkes“ bestaunt. Der lässt sich gänzlich auf zwei Rädern umrunden und anhalten zum Staunen und Fotografieren geht auch problemlos. 

 

Da hat also der Diktator Ceaucescu, der sich auch als Architekt und Städtebauer fühlte, etwa ein Fünftel des historischen Stadtkerns plattgewalzt. Im Zentrum dieser „Freifläche“ entstand nach dem Motto „zweitgrößtes Gebäude der Welt, nach dem Pentagon“ ein derart pompöser Kasten, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Das Umfeld wurde mit ähnlich gestalteten Straßenzügen garniert.

Hier einige Zitate aus dem Online Lexikon Wikipedia:


Der Bau beschäftigte 700 Architekten und 20.000 Arbeiter. Seine Grundfläche beträgt 65.000 qm, die verbaute Fläche 364.000 qm (zum Vergleich beträgt die Fläche des Pentagon 660.000 qm). Die Gesamtkosten schätzt man auf umgerechnet 3,3 Mrd. Dollar. Der Bau verschlang bis zu 40 %(!) des Bruttosozialprodukts. Die größte Galerie des Gebäudes ist 150 Meter lang; der größte Saal ist 16 Meter hoch und 2200 Quadratmeter groß.

Es wurde von 1984 bis 1989 nach den Vorstellungen des rumänischen Staatspräsidenten Nicolae Ceaucescu errichtet. Ursprünglich wurde es Casa Poporului genannt (rumän.: „Haus des Volkes“), von den Bukarestern damals spöttisch als „Haus des Sieges über das Volk“ bezeichnet. Für das Projekt waren Teile der Altstadt zwangsgeräumt worden. Nach der Hinrichtung Ceaucescus 1989 entbrannten heftige Diskussionen um die weitere Nutzung des Prachtbaus. Zwei Jahre später im April 1991 stand die Entscheidung fest: Das Gebäude wurde in „Palast des Parlaments“ umbenannt und dient seit 1997 als Sitz der rumänischen Abgeordnetenkammer, 2005 bezog auch der Senat seinen Sitz im Palast.

Technische Daten:

• Maße:

• Grundfläche: 65.000 qm

• Höhe: 84 m über dem Erdgeschoss; 15 m im Untergrund

• Länge: 275 m

• Breite: 235 m


• In Zahlen:

• am Bau mitwirkende Architekten (unter der Leitung von Anca Petrescu): 700

• 5.100 Räume, davon sind 3.000 Zimmer, der Rest sind Hallen und Flure (30 Konferenzsäle)

• über 30 Räume und Salons sind zwischen 200 und 2.000 qm groß

• 200 Toiletten

• prächtige Treppenhäuser

• 28 Aufzüge

• 480 Kronleuchter

• 200.000 Glühbirnen

• 52.000 qm an Teppichen

• 2.000 km elektrische Leitungen

• 200 Putzfrauen

• Baumaterialien:

• 1 Million cbm Marmor aus Transsylvanien

• 3.500 t Kristall aus denen 480 Kronleuchter, 1.409 Deckenleuchen und Spiegel hergestellt wurden

• 700.000 t Stahl und Bronze für monumentale Türen, Fenster und Kronleuchter

• 900.000 qm Holz (Walnuss, Eiche, Kirsche, Ulme, Platane, Ahorn)

• 200.000 qm gold- und silberbestickte Samt- und Brokatvorhänge


Wen wundert es, dass die Rumänen darben mussten. Schließlich wurde ja auch noch der Donau-Schwarzmeer-Kanal gebaut, wie ich im Bericht von 2004 geschrieben habe. Daneben gab es weitere Projekte des Diktators, der an Gigomanie litt.


Fast 500 km bildet die Donau die Grenze zwischen Rumänien und Bulgarien. Jetzt ratet mal, wieviele Brücken den Fluss überqueren. Eine einzige. Entsprechend hatten wir uns auf lange Wartezeiten an der Grenze eingestellt, als wir die 65 km von Bukarest zurückgelegt hatten. Haben die Rumänen keinen Kontakt zum Nachbarland? Und umgekehrt? Gibt es keine Waren auszutauschen? Nur wenige Fahrzeuge vor uns wurden abgefertigt (auf rumänischer Seite haben auch die Bulgaren ihre Kontrollstationen), dann fuhren wir auf die „Brücke der Freundschaft“ zu.  Die beiden Brückenportale sind künstlerisch pompös ausgestattet, wie es sich für so ein Bauwerk gehört, das 1952 - 1954 mit sowjetischer Hilfe entstand. Unten fährt die Eisenbahn, oben die Autos. Auch den Fußgängern hat man auf der 2,8 km langen Strecke über den Fluss Wege eingerichtet. Ich konnte es nicht fassen. Nur hin und wieder ein Fahrzeug.

 

Dann waren wir auch schon in den Vororten von Ruse, nach rumänischer Schreibweise. In deutschsprachigen Texten ist von „Russe“ die Rede, in Kyrillisch sieht es aus wie „Pyce“ und bedeutet „Rose“. Welch poetischer Name für eine Stadt, die sich bei der Zufahrt von ihrer hässlichsten Seite zeigte. Schlimmer geht es kaum. Vorbei an Industriebrachen und Fabriken, riesige Silos im Hafenbereich, Dreck und Gestank. Drinnen dann die Überraschung. 

 

Großartige Bauwerke, wunderschöne Parkanlagen, belebte Fußgängerzone, die übliche „Fressgass“, wo wir uns in der Außengastronomie (schreckliches Wort) stärken konnten. Ein österreichisch/bulgarisches Paar am Nachbartisch half uns mit der Speisekarte und erzählte nebenbei so manches Wissenswerte über Land und Leute. Ein nettes Hotel fanden wir ganz in der Nähe.


Der fromme Mönch Kyrill ist erwiesenermaßen nicht der Täter, nach dem diese Schrift also nur benannt wurde. Ausgerechnet in Bulgarien entstand im 9. oder 10. Jahrhundert diese für uns so böse Falle. Inzwischen gibt es zudem noch ein gutes Dutzend landestypische Abarten wie Tadschikisch oder Mongolisch. Für den Reisealltag sind es die Wegweiser, die übrigens in Bulgarien gegenüber Rumänien vorbildlich sind, sowie Essen, Trinken und Unterkunft, die es zu entziffern gilt. Zum Ortsnamen „Pyce/Ruse“ habe ich mich schon ausgelassen. „Sofia“ ist ganz leicht zu erkennen an dem „F“ in der Mitte, einem kleinen Kreis, durch den ein langer Strich senkrecht geht. Zu allem Überfluss steht der Name der Hauptstadt an allen Ecken auch in unseren Schriftzeichen. Richtig schwierig wird es jedoch, wenn das Ziel „Dimitrovgrad“ oder „Koprivstica“ heißt. Dann hat man ein langes Gewirr von Buchstaben, die man nicht jedesmal im flotten Fahren entziffern kann. Also anhalten, Karte raus, vergewissern und dann weiter. Die Buchstabenfolge für das Wort Zentrum kann man sich schließlich auch merken, obwohl auch als untrügliches Zeichen ein LKW-Verbot darauf hinweist. Recht einfach war dagegen die Beschriftung „PECTOPAHT“ zu knacken. Das P ist ein R, das E bleibt, das C entspricht dem S und das H dem N. Guten Appetit. Dagegen hatte ich erst ganz zum Schluss der Reise das wichtige Wort „KBAPTNPN“ verstanden. Es heißt KWARTIRI und bedeutet so viel wie „Zimmer zu vermieten“. HOTEL DONAU sieht so aus

 

Von Ruse fuhren wir in die Stadt Gabrovo. Die hat wunderschöne Promenadenwege am Fluss entlang. Man kann einen überlebensgroßen Schmied aus Bronzeguss bestaunen, der inmitten des Wassers seinem Handwerk nachgeht. Eine ausgedehnte Fußgängerzone lädt zum Shoppen ein. Hier kaufte ich auch endlich eine detaillierte Landkarte. Bedient wurde ich von einer alten, feinen Buchhändlerin, die sich mit mir in gepflegtem Französisch unterhielt. Gespeist haben wir in einer urigen Kneipe, bevor wir zum Hotel zurückkehrten. Hier waren wir bei der Zimmersuche nur knapp an einer Pleite vorbeigeschrammt, die uns später mehrfach heimsuchte. Davon handelt mein nächstes Kapitel.


Man glaubt es nicht, aber die Bulgaren haben eine Gestik, die von allen mir bekannten abweicht. Als Zustimmung schütteln sie den Kopf und als Ablehnung nicken sie. Typischer Fall an der Rezeption. Wir verklickern, dass wir für eine Nacht ein Doppelzimmer brauchen. Die Dame schüttelt freudig den Kopf. Wir wenden uns traurig zum Gehen, sie schaut bedröppelt hinter uns her und versteht die Welt nicht mehr. Oder man bedeutet dem Kellner, man möchte zahlen. Der schüttelt den Kopf, wir sind verdutzt, dann steht er schon neben uns und zückt sein Blöckchen. Peinlich wurde das in einem Hotel beim Abendessen. Mit viel Lust und Liebe hatte ich der Kellnerin klar gemacht Kotelette, Fritten und Salat. „Okay?“, fragte ich. Sie schüttelte den Kopf. Also das ganze noch einmal von vorn. Ergebnis, sie brachte zwei Portionen. Unverständnis auf beiden Seiten. Irgendwann fand ich im Reiseführer einen versteckten Hinweis auf dieses Phänomen. Das hätte groß an den Anfang gehört!


Plowdiw ist die zweitgrößte Stadt Bulgariens und durchaus sehenswert. Trotzdem denke ich mit unguten Gefühlen an unsere Übernachtung  zurück. Es war ein riesiges Hotel, so eines, in dem ganze Busladungen nächtigten. Den Roller hatte ich unauffällig neben dem Eingang geparkt. Das gefiel den Leuten nun garnicht. Sie verlangten partout, ich solle aus Sicherheitsgründen in den verschlossenen Innenhof fahren. Mir schien es deutlich sicherer, draußen beim hellen Licht der Straßenlaterne, dem Publikumsverkehr und und vor allem dem bewaffneten Posten, der an der Zufahrt zum Hof aufpasste. Fünf Euro sollte es außerdem kosten.

Die blieben hart, ich knickte ein und am nächsten Morgen war das Topcase aufgebrochen. Das Hotelmanagement versuchte, sich rauszureden. Die Bilder der Überwachungskameras wollten oder konnten sie mir aber nicht zeigen. Um ihren Sicherheitsdienst nicht in die Pfanne zu hauen, mutmaßten sie, russische Gäste des Hauses seinen auf der Feuerleiter von Ihren Zimmern in den Hof gestiegen, um im Dunklen ihrem schändlichen Treiben nachzugehen. Meine fünf Euro bekam ich zurückerstattet. Erst zu Hause merkte ich, dass meine lange Unterhose abhanden gekommen war. Sonst nichts.


Weit im Süden Bulgariens, keine 25 km Luftlinie von der griechischen Grenze entfernt (eine Straße führte nicht über das hohe Grenzgebirge), hatten wir am östlichen Ende eines langgestreckten, wunderschönen Sees ein Hotel gefunden. Vorher waren wir schon mal ein paar Kilometer am Ufer entlang gefahren, hatten die himmlische Ruhe genossen und wussten spontan, wie die Route des nächsten Tages aussehen musste. Nicht über die Hauptstraße, sondern am See entlang über eine Strecke, die nach unserer Karte nur einen kleinen Umweg darstellte.

So machten wir uns am nächsten Morgen voller Vorfreude auf den Weg. Es war einfach herrlich, wie erwartet. 

 

Nach etlichen Kilometern dann die unangenehme Überraschung. Der Asphalt hörte auf, es ging auf Schotter weiter. Normalerweise ist das zwar nicht schön, aber fahrbar. Aber dieser Schotter bestand aus faustgroßen Brocken. Der Burgman mit seinen kleinen Rädern und der ausgeprägten Hecklastigkeit wurde kaum noch regierbar. Es wurde ein Eiertanz, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Meine Frau lag mir in den Ohren, ich solle umkehren. Zurecht fürchtete sie sich um ihre Gesundheit. Nach vielleicht drei Kilometern, die mir wie fünfzehn vorkamen, hatte das Elend ein Ende. Auf der Terrasse eines Hotels genossen wir bei einer Tasse kaffee den schönen Ausblick aufs Wasser und freuten uns wieder auf die Weiterfahrt.

Auf dieser Terrasse lagen in dünne Scheiben geschnittene Pilze zum Trocknen aus. Riesige Mengen. Als alter Pilzfreund und -sammler musste ich mir das näher ansehen. 

 

Und dann drehte sich mir der Magen um. Alle Pilze waren wurmstichig. Von der Menge her war das hier viel zu viel für den Eigenverbrauch des Hotels. So stellte ich mir vor, die werden verkauft und kommen in die Pilzsuppen im Tütchen. Bei uns liegen die dann im Regal des Supermarkts. Bulgarische Waldpilze mit Fleischeinlage.


Den See hatten wir hinter uns gelassen und fuhren weiter an einem Gebirgsbach. Richtig idyllisch war das. Einige Dörfer durchquerten wir, auch hier Unmengen von Pilzen, die zum Trocknen ausgebreitet waren.

Schließlich kamen wir in eine Ortschaft und fanden den Ausgang nicht. Jede einzelne Straße endete als Feldweg. Sind wir denn doof?. Zurück zum Ortseingang. Der Name auf dem Schild fand sich sogar auf meiner Karte wieder. Die Karte sagte aber auch, dass wir in einer Sackgasse steckten. Unterwegs hatten wir wohl einen Abzweig verpasst. Den fanden wir auch nach intensiver Suche. Es war ein verschlammter besserer Waldweg, den allenfalls der Förster mit seinem Allrad befahren konnte.


Eine andere Route wurde auf der Karte gefunden. Über das Rodopen-Gebirge. Das versprach doch auch schön zu werden. Wir fuhren also etwa 15 km zurück und nahmen die Straße in die Berge. Wildromantisch, fast menschenleer, so ganz nach unserem Geschmack. Immer höher ging es auf teilweise engen Serpentinen. Auf der Passhöhe genossen wir die  grandiose Aussicht, bevor wir weiter ins Tal hinab fuhren. Hin und wieder sahen wir Zigeuner, die am Wegesrand ihr Lager aufgeschlagen hatten. Es schien bittere Armut zu herrschen. Wir hatten noch etwa zwölf Kilometer bis zur nächsten größeren Stadt, als uns fast der Schlag traf. Die Straße war weg. 

 

Komplett. Ein Unwetter hatte wohl einen Seitenfluss derart  wüten lassen, dass auf vielleicht dreihundert Meter nur noch Reste der Straße vorhanden waren. Verzweifelt turnte ich über die Steinbrocken bis ans Ende, wo einige Autos parkten. Auf dem Rückweg kam mir ein Motorradfahrer entgegen, der geschickt über die Felsstücke turnte. Mit Zipfelmütze statt Helm. Wenn der das schafft, hätte ich vielleicht auch eine Chance. Der Versuch scheiterte kläglich. Schon nach zwei Metern setzte der Auspuff auf und ich hatte Mühe nicht umzukippen. Mit vereinten Kräften zogen wir den Roller wieder zurück auf festen Grund. 

Zwei Zigeuner kamen mit einem Pferdekarren. Die fuhren damit über das Geröll, als sei es das Natürlichste der Welt. Um Zigaretten bettelten sie mich an. Als die brannten, wollten sie noch eine für hinters Ohr.

 

Die bittere Erkenntnis setzte sich durch: Wir mussten wieder zurück. Hätte man es nicht hinkriegen können, vor der Sackgasse zu warnen? Immerhin waren das 70 vergebliche Kilometer für uns. 

Die Mittagszeit war längst überschritten, als wir in einem Dorfgasthaus doch noch was zu essen bekamen. Einheimische studierten mit uns die Landkarte. Alles, was da so schön eingezeichnet war, ging nicht. Es gab tatsächlich nur den Weg ganz zurück. Einschließlich der Tortur mit den faustgroßen Schottersteinen. Nachmittags um halb vier konnten wir unserem Hotelier wieder zuwinken. Dann fuhren wir noch drei Stunden in die ursprünglich geplante Richtung.

Damals war ich grenzenlos sauer. Heute, mehr als zwei Jahre nach den Ereignissen, sehe ich das ganz anders. Viele Urlaubstage waren absolut ereignislos, von diesem aber werde ich noch meinen Enkeln erzählen. 

 

Bulgarien ist als Wintersportland nur bei wenigen Insidern bekannt. Dabei gibt es im Land einige Orte mit Anlagen und Pisten, die durchaus alpinen Charakter haben. Auch die Hotels genügen höchsten Ansprüchen. Damit ist klar, wer die Zielgruppe ist. Sportler, für die Österreich, die Schweiz oder Frankreich nicht mehr bezahlbar sind. Und für den Durchnittsbulgaren sind dann diese Orte nicht mehr erschwinglich. In einem dieser Orte haben wir bei netten Wirtsleuten ein Zimmer mit Frühstück für 22,- € gefunden. Dieses Frühstück war die eigentliche Überraschung. Es gab nur „Armer Ritter“ (Brotscheibe in Ei gewendet und in der Pfanne mit viel Butter ausgebacken) und einen Kaffee, sonst nichts. Das weckte bei uns beiden Kindheitserinnerungen. Und es hat uns köstlich geschmeckt, es war so vollkommen anders als jedes Hotelfrühstück. Um unseren Roller sicher unterzubringen, haben sie ihren Wagen auf der Straße geparkt, statt in der Garage. 


Wenn man von der Hauptstraße „1/E79“, die fast wie mit der Schnur gezogen von der griechischen Grenze zur Hauptstadt Sofia nach Norden führt, etwa auf halber Strecke rechts in ein Seitental fährt, kommt man nach gut 30 km an das Rilski-Kloster. Es ist eines der größten orthodoxen Klöster und ist in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen worden. 

 

Täglich kommen tausende Touristen und Pilger zum Beten und Staunen. Bevor wir durch das große Tor ins Innere gingen, hatten wir ein langes Gespräch mit dem Parkwächter. Er sprach erstaunlich gut deutsch und war über die Verhältnisse in Deutschland in jeder Hinsicht bestens informiert. Er erzählte uns viel von seinem Land und die schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen. Um seine Familie durchzubringen, hatte er zwei Nebenjobs, einen davon hier auf dem Parkplatz. Er prangerte die korrupten Bonzen an, die während der Diktatur das Volk ausplünderten, das Geld im kapitalistischen Westen parkten und nun nach der Wende mit ihren alten Seilschaften und sattem Kapital wieder ganz oben schwimmen. Er beklagte, dass es nur ganz arm und ganz reich gebe. Ein gesunder Mittelstand hatte sich noch nicht etabliert.

Die Fahrt zurück zur Hauptstraße bot noch ein Schmankerl. Etliche Forellenzüchter hatten sich an dem Gebirgsbach niedergelassen. Fangfrisch servierten sie ihre Köstlichkeiten. Den Blick auf die wunderbare Landschaft gab‘s gratis. Schade nur, dass ich statt des sicherlich köstlichen heimischen Weins nur Mineralna Voda bestellen durfte.


Zum Abschluss unserer Reise stand nur noch Sofia auf dem Programm. Nicht weil man sich das Beste bis zum Schluss aufhebt, denn ich habe aus meiner Abneigung gegen Millionenstädte nie einen Hehl gemacht. Es lag halt nur so auf der Route, wenn man sich langsam heimwärts wendet.

Im Zentrum waren die Hotels nicht bezahlbar. Mit lächelndem Gesicht wurden Preise von 100 bis 120 € genannt, ohne Frühstück.

So fuhren wir nach draußen, weit nach draußen Richtung Flugplatz. Dort fanden wir in einer Nebenstraße zufällig genau das, was wir suchten. Die beiden Burschen, die das Hotel betrieben, waren selbst Motorradfahrer und boten uns einen Stellplatz im Hof neben ihren Maschinen. Zur Stadtbesichtigung brauchten wir nur auf die Hauptstraße, kilometerlang geradeaus, ohne irgendeinen Schlenker direkt ins historische, sehenswürdige Zentrum. Nachdem meine Frau mich nicht weiterschleppen konnte, weil ich nun mal zum zu Fuß gehen nicht gebaut bin, fuhren wir wieder in den Vorort. Klein, überschaubar, Supermarkt und kleine Läden, schöne Kneipen, kleiner Wochenmarkt, für Bulgaren bezahlbare Preise. Ich vermisste die Großstadt überhaupt nicht.


Vidin liegt im äußersten Nordwesten des Landes. Diese Stadt hat nicht viel mehr zu bieten als die einzige ganzjährig betriebene Fähre über die Donau. Wir fanden ein mehr oder weniger brauchbares Hotel, das uns unbedingt seinen gebührenpflichtigen Parkplatz vor dem Haus aufs Auge drücken wollte. Daher parkten wir vorher am Straßenrand und trugen unsere wenigen Habseligkeiten für die Übernachtung eben 50 m weiter. Abends machten wir eine ausgedehnten Bummel am Donauufer. Zahllose Angler hofften auf ein schmackhaftes Abendessen und brachten ihren Würmchen das Schwimmen bei. Drei luxuriöse Kreuzfahrtschiffe waren für die Nacht vor Anker gegangen, eines trug den Namen „Basel“ und fuhr unter Schweizer Flagge. Wie war der Kahn in die Donau gekommen?

Dauerhaft vor Anker lag ein Restaurantschiff, das verführerische Düfte Richtung Ufer sandte. Auf dem Oberdeck, mit Blick auf die Donau und das weit entfernte rumänische Ufer, wurde geschlemmt bis Sonnenuntergang. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Anderntags waren wir schon früh an der Fähre. Keiner konnte uns sagen, wann es losging. Mit und mit erfuhren wir dann von anderen Wartenden, dass die Fähre erst dann in Rumänien ablegt, wenn sie genügend gefüllt ist. Zwischenzeitlich kam mal eine leere Fähre und legte wieder ab.

 

Das dauerte letztendlich bis Mittag. Biker trafen ein. Ein schwedisches Paar und vier junge Polen. Erlebnisse und Erfahrungen wurden ausgetauscht. 

Am Kiosk wurden Zigaretten verkauft. Marlboro für 8,- €, heimische für 4,- €. Nicht die Packung, sondern die Stange mit vollen 200 Stück. Kein Wunder, dass fast jeder erwachsene Bulgare raucht. Da hat doch tatsächlich ein Staat die Abzocke vergessen! Nichtraucher, wie meine Frau, können meine Freude über solche Schnäppchen nicht nachvollziehen. Als ich zwei Stangen im Topcase verstaute, setzte es eine Standpauke.

 

Übrigens, an dieser Stelle ist eine zweite Donaubrücke in Planung.


Auf rumänischer Seite führt später eine Straße unmittelbar an der Donau entlang. In diesem Bereich hat sie sich ein Bett zwischen teilweise steil aufragenden Bergen gegraben. Sie ist hier ganz schmal, aber bis zu 60 m tief. Unglaublich, aber die Wassermassen müssen ja irgendwie durchkommen. Die Enge des Tals hat auch dazu verleitet, einen Staudamm zu bauen. Rumänen und Serben erzeugen hier gemeinsam Strom aus dem Strom. Von der wunderschönen Landschaft hat mal wieder nur die Sozia den vollen Genuss. 

Den hatte sie auch einige Tage später, nachdem wir durch Rumänien und Ungarn wieder durch Budapest fuhren. Dabei hatte ich mir geschworen, diese Stadt nie mehr zu durchqueren. Wir fanden, eher durch Zufall, eine Strecke, die kilometerlang am rechten Donauufer entlang führte. Da es nicht sonderlich schnell voranging, hatte sie einen Panoramablick sondergleichen auf diese schöne Metropole und den Fluss mit den vielen Brücken.


Ohne Probleme, aber auch ohne erwähnenswerte Ereignisse, landeten wir drei Tage später wieder daheim. Der Burgman hatte die mehr als 6000 km ohne den geringsten Defekt abgespult. Der kam erst ein gutes halbes Jahr später, aber dann besonders krass. Ein kapitaler Motorschaden, der nicht mehr unter Garantie fiel. Gottseidank nicht irgendwo in der Walachei (Landschaft im Südosten Rumäniens, nicht was ihr denkt) sondern mitten in Düren auf dem Parkplatz eines Supermarkts. Da konnten auch die Gelben Engel vom ADAC nur den Abschleppwagen ordern. So ging die Ära Suzuki Burgman 400 nach meinem dritten Exemplar dieser Gattung endgültig zu Ende, nachdem ich mit jedem von ihnen mehr als eine Erdumrundung zurückgelegt hatte. 

 

Teil 3 

2006


Majdanpek ist eine kleine Stadt im äußersten Nordwesten Serbiens, tief in den Bergen, dort wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. In dem Flüsschen, das durch das Städtchen fließt, der nahen Donau entgegen, waren schon zu Zeiten der Alten Römer Goldnuggets gefunden worden. An sekundärer Lagerstätte, wie der Fachmann sagt. Sie waren also aus dem Gebirge mit Kies und Sand transportiert worden.

Doch erst in jüngerer Zeit hat man sich daran gegeben, das ganze großindustriell aufzuziehen. Im Tagebau wurde der Fels abgetragen und zerkleinert, um so an das Gold und andere Erze zu kommen. Zu Zeiten des Kalten Krieges erlebte Majdanpek einen Aufschwung sondergleichen. Mit dem Gold kamen Tito und seine Genossen an die heiß begehrten Devisen. Der Tagebau wuchs zu einer Größe an, die durchaus mit den Braunkohle-Abbaustellen im Rheinland verglichen werden kann. Nicht so weitflächig, dafür umso tiefer. Heute ist es der größte Goldtagebau der Welt.


 

Mit der Wende, nach Auflösung Jugoslawiens kamen dann bittere Zeiten. Ein kanadischer Konzern übernahm die Grube und stellte recht bald fest, dass auf dem Weltmarkt angebotenes Gold woanders deutlich günstiger gefördert werden kann. Die Produktion wurde zwar nicht ganz eingestellt, beträgt heute aber nur noch ein Zehntel dessen, was zu Spitzenzeiten lief. Dadurch versank Majdanpek in Arbeitslosigkeit, Mutlosigkeit und Depression. Die Bevölkerung lebt überwiegend von den minimalen staatlichen Transferleistungen, betäubt den Frust mit Alkohol und Drogen.

Meine jüngste Tochter lernte per Zufall eine junge Dame aus Majdanpek kennen, die im dortigen Kulturausschuss tätig ist. Man verabredete ein Meeting mit einer internationalen Künstlergruppe, um Lebensfreude und Flair in das Städtchen zu bringen.


Der geneigte Leser wird sich fragen, was diese Geschichte mit einer Rollerreise zu tun hat. Ganz einfach. Wir legten Termin und Route unserer jährlichen Tour so, dass wir unsere Anne zwei Tage besuchten.


Ende März war mein Suzuki Burgman mit einem Motorschaden total ausgefallen. Als ich mit meinem Händler über einen Ersatz verhandelte, da er günstig einen Vorführroller abzugeben hatte, mischte sich meine Frau vehement ein. „Du wirst Dir doch nicht zum vierten mal so eine lahme Krücke kaufen. Hast du sie noch alle?“ O-Ton Flimmchen. So kam ich dann zu einem weinroten Honda Silver Wing. Der hatte nur knapp zwölftausend Kilometer unter zwei Vorbesitzern zurückgelegt. Blendend gepflegt, mit Topcase. Für meinen defekten Burgman wurde ein Preis festgelegt, der mir die Tränen in die Augen trieb. Einen neuen Hinterreifen und eine Inspektion konnte ich noch rausschlagen. Händler wollen auch leben, sagte ich mir.

Nun hatte ich endlich die gewünschte Leistung. Weniger die Spitze von 160 km/h war interessant, sonder der enorme Zuwachs bei der Beschleunigung. Es ist schon ein gewaltiger Unterschied, ob man 33 oder 50 PS unterm Hintern hat. Die Federung hinten war deutlich besser und für die Sozia gab es endlich die hervorragenden Klapprasten. Aber, wo Licht ist, ist auch Schatten. Das Gewicht war spürbar höher, ebenfalls die Sitzbank. Bei meinen kurzen Beinen schon ein ernsthaftes Manko. Und dann diese Trinksitten. Ein Verbrauch von 6 Litern je 100 km wurde öfter über- als unterschritten. Vollgas auf der Autobahn habe ich mir selbst verboten. 


Die Anreise erfolgte, wie auch in den vorherigen Jahren, über die tschechische und slowakische Republik nach Ungarn. Von dort reisten wir nach Serbien ein und kamen in eine andere Welt. Ganz so hart war der Schock nicht, denn wir hatten ja in den Vorjahren schon ärmliche, handbetriebene Landwirtschaft, Pferdekarren, Schlaglöcher und kyrillische Schrift kennengelernt. Schon beim Verlassen Deutschlands war der Euro den zweierlei Kronen, dem Forint und nun dem Dinar gewichen. Mit der Sprache war das Problem ungleich gravierender. Wir verstanden kein Wort mehr und waren auf Zeichen und Gesten angewiesen, hin und wieder konnte einer englisch. 


Novi Sad, die zweitgrößte Stadt des Landes, wurde für die erste Übernachtung auserkoren. Da sich keine Hotels beim Kreisen in der Innenstadt zeigten, hoffte ich auf die fachkundige Hilfe eines einheimischen Bikers, den ich ranwinkte. Wie der an die funkelnagelneue knallrote Sport-Guzzi kam war mir ein Rätsel. Wie der Besitzer sah er nicht aus. Als Einheimischer hatte er sich verraten, weil er nur eine Sonnenbrille auf seinem Kopf trug. Er verstand schnell unser Anliegen und bedeutete uns, ihm zu folgen. Das war leichter gesagt als getan. Er musste uns unbedingt die brachiale Kraft der Guzzi vorführen und beschleunigte in Geschwindigkeitsbereiche, die ich nicht mitmachen wollte. Er wartete auf uns am Straßenrand, um gleich wieder so eine Orgie loszulassen, weil er diesmal einen Mitstreiter hatte, dem er unbedingt zeigen musste, wo Barthel den Most holt. 

Irgendwann standen wir dann vor einem Hotel. Hochhaus, glänzende Fassade, livrierter Empfangschef am Eingang. Das konnte nicht unsere Preisklasse sein. Auch nicht in Serbien. Die Zimmerpreise lagen jenseits von Gut und Böse. Mit dem Handy stellte unser Guide eine Verbindung zu seiner Schwester her, die angeblich englisch sprach. Der haben wir dann schließlich erklären können, was unsere Preisvorstellungen waren. Ihrem Bruder konnte Sie auch gleich einen Tip geben. Weit draußen am Eingang der Stadt. Wieder dieser Höllenritt, diesmal auf der breiten, schnurgeraden Einfallstraße. Die Guzzi musste alles geben, wirklich alles, bis sie nur noch ein Punkt am Horizont war. Irgendwann sahen wir dann unseren Ritter vor einem kleinen Hotel, das wir bei der Zufahrt auch schon gesehen hatten, aber noch auf etwas Besseres hofften. Schlicht, billig und mit einem für mich unschätzbaren Vorteil. Wie im Vorjahr in Sofia führte die Straße absolut schnurstracks bis an die Fußgängerzone.

Die Stadt war eine Wucht. Das hatten wir in Serbien nicht erwartet. Ein Festival fand statt, die ganze Stadt war auf den Beinen. Theaterstücke wurden im Freien aufgeführt, prachtvolle Umzüge in historischen Kostümen, Gaukler und Händler, lautstarke Musikgruppen, elegant gekleidete Frauen. Wir hatten nicht Augen genug. In einem der überfüllten Straßencafes fanden wir noch einen Platz, um das Schauspiel zu genießen. Der Speckpfannekuchen mit Käse war ein Gedicht. Erst spät konnten wir uns von dem Treiben trennen.

So wie Novi Sad wohl immer in guter Erinnerung bleiben wird, wurde der nächste Tag der schwärzeste im Verlauf meiner Rollerreisen.

Auf der Landstraße, die parallel zur Autobahn führt, fuhren wir Belgrad entgegen. Mitten in einer kleinen Stadt, vor einer roten Ampel, lag ich plötzlich mit meiner Fuhre auf der Straße. Die Sitzbank, die wieder nicht eingerastet war, sprang auf, unser Reisegepäck lag über die Straße verstreut. Hilfreiche Hände stellten mit mir den Roller wieder auf die Räder, der Plunder wurde eingesammelt. Fassungslos stand ich dann am Straßenrand und musste erst mal eine rauchen (und dann noch eine). Was war passiert? Kurz bevor ich an der Ampel anhalten musste, erspähte ich eine zweite Spur, die auch geradeaus führte. Um den Spurwechsel zu vollziehen, musste ich etwas abbremsen. Dabei hat dann wohl das Vorderrad blockiert. Wahrscheinlich war auch Öl auf der Fahrbahn. Meiner Frau und mir und sonderbarerweise auch dem Roller war nichts passiert. 

Belgrad umrundeten wir auf der Autobahn. Überall waren noch die Spuren der Bombardements zu sehen, die den Sturkopf Milosevic zum Einlenken zwingen sollten. Brücken waren teilweise nur einspurig notdürftig wieder aufgebaut und mit Ampeln versehen. Unübersehbare Staus waren die Folge.

Südlich der Hauptstadt verließen wir die Autobahn und wandten uns in östliche Richtung und strebten Majdanpek zu. Wie überall in Serbien, war die Beschilderung äußerst mager, unser Kartenmaterial, wie üblich, etwas dürftig. So navigierten wir, wie schön öfter, nach dem Stand der Sonne, wie Seeleute. Dennoch blieb es nicht aus, hin und wieder nach dem Weg zu fragen. An einer Stelle, wo die Straße sich im spitzen Winkel gabelte, zogen wir die Hilfe von zwei Serben hinzu. Ich meinte verstanden zu haben, geradeaus, meine Frau deutete es wie der Hauptstraße folgen, die eindeutig einen leichten Rechtsbogen machte. Nach etwa vierzig Kilometern stand fest, dass wir auf dem Holzweg waren. Wir mussten eine Querverbindung suchen, um Majdanpek zu erreichen. Die war auch bald gefunden, und wir freuten uns schon auf eine Fahrt ins Gebirge, da die kleine Straße über einen Pass aus diesem in ein anderes Tal führen sollte. Eifrig, den Zeitverlust wieder aufzuholen, hatte ich wenig Sinn dafür, als meine Frau ein Kloster am Wegesrand besuchen wollte. „Wir sind im Urlaub, nicht auf der Flucht. Majdanpek läuft uns schon nicht weg.“ Recht hatte sie ja. Als ich endlich eine Wendemöglichkeit gefunden hatte, fuhr ich die kurze Strecke zurück. Ich hatte gesehen, dass es in Höhe des Klosters einen Parkplatz gab, auf dem die Autos der Besucher abgestellt waren. Möglicherweise etwas zu schnell rollten wir vom Asphalt auf den Schotter und knallten beim Abbremsen unsanft zu Boden. Zum zweiten mal an diesem Tag lag ich fassungslos neben meinem Roller. Hilfreiche Leute eilten herbei und stellten mich und den Roller wieder auf die Beine. Anders als am Morgen, war ich hart mit dem Steißbein aufgeschlagen. Noch wochenlang schmerzte mein Sitzfleisch. Meine Frau kam glimpflicher davon. Aber der Roller hatte bei der Rutschpartie auf dem Schotter etliche Schrammen abbekommen. 

Der Klosterbesuch wurde gestrichen. Beim Wenden fuhr ich zu allem Übel noch gegen die Leitplanke. Irgendetwas in meinem Kopf hatte den Griff zur Bremse vollkommen blockiert. Das musste ich mental aufarbeiten. Bislang war ich in meinem langen Leben als Zweiradfahrer nicht ein einziges mal ohne Fremdverschulden zu Boden gegangen. Die beiden Vorfälle, als ich mit dem stehenden Roller einfach umfiel, weil da, wo ich den Fuß aufsetzen wollte, nur ein tiefes Loch war, hatten mich nicht wirklich berührt. Darüber konnte ich im Nachhinein sogar lachen.

Nach einer wunderschönen Fahrt auf einer einsamen kleinen Bergstraße, über den Pass, durch eine wilde Schlucht kamen wir schließlich ans Ziel. Rechts der Straße lagen die riesigen Löcher des Goldtagebaus. Vor dem einzigen noch betriebenen Hotel in Majdanpek schlossen wir überglücklich unsere Jüngste in die Arme.


Sie gehörte zu einer Gruppe von gut einem Dutzend Künstlern, die aus aller Welt angereist waren, um vor Ort während zweier Wochen jeweils ein Kunstwerk zu schaffen und das dann öffentlich auszustellen. Stolz stellte sie ihren Kollegen die Eltern vor und geleitete uns auf das Zimmer, das sie für uns gebucht hatte. Sie wohnte mit ihrer Truppe im gleichen Haus. Die Stadt bezahlte ihnen Kost und Logis. Später machte sie mit meiner Frau einen Shopping-Rundgang durch die ärmlichen Läden. Derweil stand ich in der Sonne und betrachtete das lebhafte Treiben und die saufenden und kiffenden Jugendlichen. Ja, ich stand, denn zum Sitzen tat mir der Poppes zu weh.


Am nächsten Morgen haben wir unsere Tochter nach einem gemeinsamen Frühstück wieder verlassen.

Majdanpek liegt Luftlinie nur etwa 13 km von der Donau entfernt, aber es führt keine direkte Straße dahin. Fast 150 km sind wir gefahren, bis auf die Höhe von Majdanpek. Auf Straßen wie in Serbien ist das eine lange Reise. Aber es lohnt sich. Es geht auch wesentlich kürzer, aber dann verpasst man den schönsten Teil der Donau im ganzen Balkan. Im vergangenen Jahr waren wir schon einen kleinen Teil auf rumänischer Seite gefahren.

Die Donau bildet in diesem Bereich die Grenze zwischen beiden Ländern. Sie durchschneidet ein Gebirge, das mit nackten Felsen steil ins Wasser abfällt. Der Strom ist nur noch 200 m breit, dafür aber bis zu 120 m tief. Für die Straße bleibt kaum Platz. Manchmal muss sie auf die Höhe ausweichen. Hoch oben, am Eingang eines Tunnels machten wir Rast und genossen die schöne Aussicht auf den Fluss. Eigentlich verwunderlich, dass höchst selten ein Schiff zu sehen war.

 

 

Mächtige Wehranlagen zeugen von der Vergangenheit, die bis in die Zeit der Römer zurückreicht. Diese hatten sogar eine Brücke über den Fluss gebaut, deren Reste an Land noch zu besichtigen sind. Für damalige Verhältnisse eine ungeheure Ingenieurleistung. Nur aus militärisch-strategischen Gründen war so ein Kraftakt überhaupt realisierbar. 1972 hat man in diesem engen Teil einen Staudamm errichtet, der einen 150 km langen See erzeugt und gleichzeitig als Brücke vom Straßenverkehr genutzt wird. Stromerzeugung war natürlich der Sinn und Zweck der Investition.

Leider war das wildromantische Donautal viel zu schnell zu Ende. Der Fluss wälzte sich durch das flache Tiefland. Die unattraktiven Dörfer und damit die Straße lagen weit vom Wasser entfernt, wohl wegen der Hochwassergefahr. Wir mussten wieder in die Berge.


Irgendwo, in einer kleinen Stadt in den Bergen fanden wir ein passendes Nachtquartier. Am anderen Morgen ging es durch hügeliges Land auf Seitenstraßen zur Hauptroute von Belgrad nach Sofia. Wir reihten uns in den lebhaften Verkehr ein und überquerten bald die Grenze nach Bulgarien. Lei wurden eingetauscht, der Dinar verabschiedet. Sofia hatten wir schon im Vorjahr besichtigt, wenn auch nicht ausgiebig genug, wie meine Frau mir noch heute vorwirft. 

Auf dem Außenring fuhren wir, bis die Hauptroute nach Süden abzweigte. Calafat stand immer auf den Wegweisern, die ab jetzt wieder (fast) vorbildlich waren. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich herausfand, dass dies das letzte Dorf vor der Grenze nach Griechenland war. Jedem Einheimischen ein Begriff, wäre für mich doch der Hinweis Griechenland nützlicher gewesen.

Diese für den Warentransport in Nord/Südrichtung enorm wichtige Straße war entsprechend gut ausgebaut, teilweise autobahnähnlich. Die urig wilden Bergregionen, die teilweise alpinen Charakter haben, im Süden des Landes hatten wir uns vorgenommen. Zügig kamen wir voran und machten Quartier in Blagoevgrad. Das Hotel war eine ausgesprochen positive Überraschung. An der Rezeption wurde englisch gesprochen, das ganze Haus war neu gebaut, die Sanitäreinrichtung in den Zimmern nur vom Feinsten. Und das für nur 25,- €. Da hatten wir schon ganz andere Sachen erlebt. Beim obligatorischen Stadtbummel im recht belebten Zentrum fand meine Frau auch mal ein Abendessen nach ihrem Geschmack. Eine große Portion köstliches Eis. Ich gab mich mit einer eher mittelmäßigen Pizza zufrieden. Mir fehlten einfach die Sprachkenntnisse, um landestypische Spezialitäten zu ordern. In den Speisekarten konnte ich nicht ein Wort entziffern, Kyrill sei Dank, Haha.

 

Anderntags fuhren wir dem Pirin-Gebirge entgegen. Dort sollten noch Bären, Wölfe und Luchse hausen. Bei der ersten Rast fiel uns ein Schild ins Auge: Calafat 32 km. 

Wölfe und Bären konnten warten. Hätten wir sowieso wahrscheinlich nie zu Gesicht bekommen. Griechenland lockte. Dieses Land schien mir immer so unendlich weit entfernt für eine Rollerreise. Wir hatten schon Pläne gewälzt, mit der Fähre von Bari aus dort hin zu kommen, und jetzt war es nur noch eine halbe Stunde bis zur Grenze. Meine Frau brauchte ich nicht lange überreden, bei ihr rannte ich offene Türen ein. Uns war natürlich klar, es konnte nicht Athen und die Akropolis sein, das war viel zu weit bei nur drei Wochen Urlaub. Aber ein bisschen reinschnuppern war greifbar nahe. So kamen wir wieder in eine völlig andere Welt. Die Straßen waren topfeben, Schlaglöcher ein Fremdwort. Unser Euro war wieder Landeswährung, alles wie zu Hause, leider auch die Preise. Der Kaffee unterm Sonnenschirm kostete wieder 1,50 € statt 0,40 € wie in Bulgarien oder Serbien. Ja, und mit der Schrift kamen wir vom Regen in die Traufe. Die kyrillische Schrift ist zwar aus der griechischen entstanden, es sind aber nur noch entfernte Ähnlichkeiten zu entdecken. Nur die Straßenbauer hatten ein Herz für Fremde. Alle, wirklich alle Vorwegweiser wurden fünfzig Meter nach der griechischen auch in unserer Schrift wiedergegeben. Vorbildlich! 

Am Meer angekommen, machten wir erstmal eine kleine Rast. Mir hatte die Hitze stark zugesetzt. 38 Grad im Schatten und dann Integralhelm, Motorradjacke und -hose, Handschuhe nicht zu vergessen, das passte einfach nicht zusammen.

 

 

Dann nahmen wir die Straße, die dem Verlauf der Küste Richtung Osten folgte. Diese verlief leider nicht am Meer, sondern im Hinterland. Da sie auch noch teilweise Autobahn war, machten wir einen Abstecher in ein kleines Dorf. Dort wurden wir herzlich begrüßt von einigen alten Herren, die vor einer Kneipe den Tag rumkriegen mussten und für jede Abwechslung dankbar waren. Einer von ihnen stellte sich als Alexander vor. Er hatte zehn Jahre im Ruhrgebiet im Bergbau untertage gearbeitet und sprach daher leidlich deutsch. Da er aus Deutschland eine stattliche Rente (neben der kargen griechischen) bezog, war er sowieso der King und konnte sich nun auch noch mit seinen Sprachkenntnissen brüsten. Es war zwar schon Nachmittag, aber er konnte den Wirt überreden, mir eine Portion leckere Sardinen mit frischem Weißbrot zu servieren. Ein Glas Wein hätte gut dazu gepasst. Hätte.


Nach nur einer Übernachtung verließen wir schon Griechenland. Euro ade, ab jetzt sind türkische Lira angesagt. In der ersten größeren Stadt nach der Grenze machten wir Mittagsrast. An einem belebten Platz im Zentrum stellten wir den Roller ab, tauschten Geld um und begaben uns auf die Futtersuche. Wieder das Problem wie immer. Der gute Kemal Atatürk hatte zwar 1928 unser Alphabet eingeführt, aber was half uns das. Meine Türkischkenntnisse beschränkten sich auf einige deftige Schimpfworte, die ich aber aus Höflichkeit und Rücksicht auf meine Gesundheit für mich behielt. Irgendwie bin ich dann doch in einem Schnellimbiss satt geworden. Wir konnten weiter fahren.

Noch in der Stadt, auf einer steil abfallenden Straße, wurde urplötzlich der Himmel kohlrabenschwarz. Vor einer Fahrt durch Regen hatte ich noch nie Angst. Der würde auch bald wieder aufhören. Was aber dann losging, hatte ich noch nie erlebt. Anhalten konnte ich noch und mich mit meiner Frau in einen Hauseingang flüchten, dann öffnete der Himmel seine Schleusen. Es schüttete wie mit Eimern. Die Inhaber eines kleinen Ladens ließen uns reinkommen und boten einen Tee an. Draußen war die Straße zu einem reißenden Fluss geworden. Ein kleiner Motorroller wurde direkt vor unseren Augen von den Fluten mitgerissen. An unserem Roller brach sich eine Flutwelle, die bis zur Windschutzscheibe hochschwappte. 

 

In Angstschweiß gebadet stand ich hinter der Scheibe und konnte doch nichts tun außer beten. Nur durch sein Gewicht, das ich so oft verflucht hatte, trotzte er den Wellen. 

Nur langsam ließ das Unwetter nach, dann war irgendwann auch die Flut abgelaufen, und wir konnten uns dankbar von den beiden netten Leuten verabschieden. Draußen vor der Stadt hatte sich in einer Unterführung ein kleiner See ausgebildet, der uns zu einem großen Umweg zwang.  


Von der Schnellstraße Richtung Istanbul bogen wir ab und erreichten nach einer wunderschönen Fahrt durch die Berge und auf recht kurvigen Landstraßen schon bald eine kleine Stadt an der Küste des Marmarameeres.

Mit der Stadt Sarköy hatten wir einen wahren Glückstreffer gelandet. Sie war einerseits so klein, dass man alles zu Fuß erreichen konnte, hatte aber andererseits eine Unmenge an Läden, Restaurants jeder Kategorie, Hotels und alles, was das Herz begehrte. Die vielen Touristen waren ausschließlich Türken, der internationale Tourismus hatte die Stadt noch nicht vereinnahmt. Keine Hotelhochhäuser verschandelten die Landschaft, der Blick auf das tiefblaue Marmarameer war überwältigend. Und unser Hotel hatte alles zur vollsten Zufriedenheit. Ein Zimmer im zweiten Stock mit Panoramablick vom riesigen Balkon aufs Meer bis hinüber zum asiatischen Festland. 

 


Auf der Rückfront führte ein langer Gang im Freien zur Treppe. Von da hatte man das lebhafte Treiben auf der Hauptstraße voll im Blick. Das Frühstücksbuffet war reichhaltig und lecker und wurde am hauseigenen Swimmingpool serviert. 

 

Bis zum Strand waren es keine hundert Meter. Zu allem Überfluss kamen auch ein recht moderater Preis und eine nette Hotelchefin, die ausgezeichnet englisch sprach.

Wir machten Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung. Dann haben wir zum ersten und einzigen mal in diesem Urlaub eine zweite Nacht im gleichen Hotel gebucht.


Wurzeln wollten wir natürlich nicht schlagen und wählten eine kleine Straße, die unmittelbar am Meer entlang führte. Die Streckenführung war grandios. Links die steil aufragenden Berge und rechts das glitzernde Meer mit den vielen Schiffen auf dem Weg vom und zum Bosporus.

 

Friede, Freude Eierkuchen bis plötzlich aus dem Asphalt eine Schotterstraße wurde. Da war vom Fahrer höchste Konzentration gefordert, besonders bei einigen sehr steilen Stellen, bergauf wie bergab. Auch die Sozia konnte nicht mehr genießen. Sie zitterte berechtigterweise um ihre Gesundheit. Es gab keine Leitplanken. Bei einem Sturz wären wir ungebremst ins Marmarameer gepoltert. Deshalb fuhr ich auf der linken Straßenseite. Autos sind uns überhaupt nicht begegnet. Nach über fünfzehn endlosen Kilometern bog die Straße ins Landesinnere ab. Im ersten Dorf haben wir dann bei einer Tasse Kaffe und frischem Obst die Nerven beruhigt. Gerne ließen wir uns von den Dorfbewohnern anstarren wie Marsmenschen. Recht bald hatte uns die Zivilisation wieder. Auf der Schnellstraße Richtung Istanbul.


Istanbul mit seinen 22 Millionen Einwohnern musste ich mir nicht antun, zumal ich diese Stadt schon bei einem Kurzurlaub genossen hatte. So mit allem drum und dran für Pauschaltouristen. Deutschsprachige Reiseleitung, Besichtigung der weltbekannten Bauwerke bis hin zur kostenlosen Führung durch eine Teppichweberei mit anschließender Möglichkeit, hochwertige Teppiche zum halben Preis zu kaufen. Versand nach Deutschland kostenlos. Irgendwie musste ja der Führer bezahlt werden. Von unserem Trinkgeld konnte er schließlich seine Familie nicht ernähren.


An einer Kreuzung standen wir mit der Landkarte in der Hand, um die beste Strecke nach Bulgarien herauszufinden. Türken, die des Wegs kamen, zogen wir zu Rate. Als sie begriffen, was wir vorhatten, machten sie entsetzte Gesichter. „Bulgaristan?“ Was sie zu der schlechten Meinung über ihre Nachbarn veranlasste, konnte ich nicht herausfinden. Waren es die Menschen, die Straßen oder vielleicht die Grenzkontrollen?


Für uns wurden die Grenzkontrollen zum Gräuel. Irgendetwas mit den Papieren des Rollers war wohl nicht in Ordnung. Soviel ich kapierte, hatten wir wohl schon bei der Einreise in die Türkei einen Stempel oder Laufzettel nicht erhalten oder besorgt. Ohne Einfuhr keine Ausfuhr, da sonst möglicherweise Diebstahl, was auch immer. Wir wurden vom bulgarischen Posten zurückgeschickt zum türkischen, von einem Büro ins nächste, vor jedem Schalter lange Schlangen. Und die Zeit lief uns davon. Hier oben in den Bergen gab es keine Hotels, wir mussten unbedingt ans Schwarze Meer. Es dämmerte bereits, aber wir meinten, die 45 km noch problemlos zu schaffen. Man sollte meinen, eine Stunde reicht dicke. Da hatten wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die Straße wurde zusehends schlechter, es gab sehr enge Kurven, die Schlaglöcher häuften sich und waren später im Scheinwerferlicht kaum zu erkennen. Zwei ganze Stunden dauerte die relativ kurze Strecke. Wir nahmen die erstbeste Unterkunft in einer Pension. Erste ja, beste keineswegs. Denn am nächsten Morgen, als wir nach einem Frühstück Ausschau hielten, fanden wir gleich um die Ecke ein Hotel, das auch für uns ein leckeres Mahl bereitete. Die Übernachtung wäre nur minimal teurer gewesen als bei unseren muffigen Wirtsleuten in dem engen Zimmer, zwei Stockwerke die Stiege hoch.


Der Reiseführer hatte es gut gemeint. Die Schwarzmeerküste ist wirklich sehenswert. Man muss sich nur die Hotelhochhäuser wegdenken. In einem Städtchen machten wir Rast, man kann ja nicht immer nur fahren. So stürzten wir uns in das Getümmel. Obwohl es noch früh am Tag war, herrschte ein Betrieb wie auf dem Rummelplatz. Mindestens einen Kilometer nur Buden mit Essen, Trinken, Klamotten, Strandausrüstung und billigem Kitsch als Souvenir für die Lieben daheim. Für diejenigen (wie wir), die der Fremdsprache und der sonderbaren Buchstaben mächtig waren, wurde Eisbein mit Sauerkraut angepriesen. Das kann man sich höchstens eine Stunde lang antun, dann muss man dringend wieder auf den Bock. Wie mag es wohl in den Touristenhochburgen Nessebur und Sonnenstrand erst aussehen. Das werden wir möglicherweise nie erfahren. Das Schwarze Meer hatte uns mal wieder enttäuscht. Das wildromantische Gebirge im Landesinneren lag uns mehr.

 

 

In gemächlicher Geschwindigkeit fuhren wir durch die schöne Landschaft und strebten Ruce zu, der Stadt mit der einzigen Donaubrücke. Da wir hier schon im Vorjahr waren, ließen wir das Zentrum buchstäblich links liegen und machten uns direkt an die Überquerung des breiten Stromes. Nach einer zügigen Grenzabfertigung konnten wir gen Bukarest fahren.


Wenn Rumänen eine Straße sanieren, dann tun sie das gründlich und ohne Rücksicht auf Verluste, quasi mit der Brechstange. Die Ergebnisse sind durchaus vorzeigbar. Breite, topfebene Fahrbahnen, neue Brücken, schwungvolle Ortsumgehungen, Kriechspuren für LKWs, eben alles, was gute Straßenbauer im Repertoire haben. Soweit die positive Seite. Was aber während der Bauzeit den Kraftfahrern zugemutet wird, ist die blanke Hölle. 

So hat es uns dieses mal voll erwischt. Die Hauptein/ausfallstraße in Bukarest Richtung Süden wurde auf etwa vier Kilometern saniert. Bisher gab es zwei Fahrbahnen in jeder Richtung, getrennt durch die separat verlaufenden zwei Schienenstränge der Straßenbahn in der Mitte. Nun hatte man den Schotter des Bahnkörpers etwas befahrbar gemacht und den ganzen Verkehr in je einer Spur darüber geführt. Die Straßenbahnen mussten natürlich auch fahren, man hatte die armen autolosen Pendler natürlich nicht im Stich gelassen. Anscheinend gab es keine brauchbaren Umleitungen und Schleichwege, sonst hätten ja nicht so viele im Stau gestanden. Die besondere Würze für den Zweiradfahrer waren dann noch die Gleise, die nicht ordentlich verpackt waren, wie sonst, wenn Straßenbahn und Autoverkehr sich den Raum teilen. Hauptsache die Straßenbauer hatten freies Schaffen. Und ich war restlos geschafft, als der Horror endlich aufhörte.

Der Weg nach Nordwesten, Richtung Transsilvanien war leicht zu finden. Da hatten die Straßenbauer in den letzten zwei Jahren entweder kräftig dazugelernt oder mehr Mittel locker gemacht, um eine ausreichende Beschilderung anzubringen. 


Nachdem wir in Campulung am Rand der Südkarpaten übernachtet hatten, wollten wir am nächsten Tag Draculas Schloss besichtigen. Schnell fand sich eine Parkmöglichkeit direkt am Aufstieg zum imposanten Gemäuer. Mit zwei Bikern aus dem Bergischen tauschten wir Erfahrungen und Tips für die Reise aus. Währenddessen strömten unübersehbare Scharen von Touristen an uns vorbei. Ganze Busladungen aus aller Welt, wie man an ihrer Sprache hören oder den Schlitzaugen sehen konnte, strebten den Berg hoch. Die vielen Kitschläden gaben uns den Rest. Die angebliche Residenz des Horrorfürsten konnte uns geklaut bleiben. Abflug.


Plötzlich saß er da. Ein kleiner, knallgrüner Laubfrosch im Cockpit. Irgendwo im hintersten Transsilvanien hatte er sich während der Fahrt unbemerkt zu uns gesellt. Wie er das angestellt hat, wird für ewig sein Geheimnis bleiben. 

 

Ich hielt an, um ihn näher zu betrachten, kramte dann die Kamera hervor, um dieses denkwürdige Ereignis der Nachwelt zu erhalten. Dabei traute ich mich nicht, näher ran zu gehen. Er sollte sich ja nicht bedrängt führen. Er hat dann alles inspiziert, kletterte sogar geschickt am Spiegelausleger hoch. Meine Frau dachte schon laut über Adoption nach. 

 

Ja, und irgendwann war er dann weg, so unbemerkt wie er gekommen war.


Dracula sollte uns an diesem Tag noch einmal „über den Weg laufen“. In Sighisoara hatten wir ein kleines , feines Hotel gefunden, direkt unterhalb der historischen Altstadt, die oben hoch auf dem Berg thronte. 

 


 

Mir blieb nichts anderes übrig, als mit meiner Frau den steilen Pfad bergan zu wandern. Und innerhalb der wohlerhaltenen und restaurierten Stadtmauern befand sich das Haus, in dem der Fürst des Gruselns geboren sein soll. Wahre Heerscharen, auch die mit den Schlitzaugen, strebten diesem Gebäude zu. Mit Digitalkameras und -recordern hielten sie jede Einzelheit für die Nachwelt fest. Während ich draußen auf das Glockenspiel und den Vorbeimarsch der Figuren im Stundturm über dem Stadttor wartete, waren jene auf zwei Etagen des Geburtshauses mit Messer und Gabel beschäftigt.

Suum quique! (Ich kann nicht wirklich Latein, aber das hört sich so schön nach Sau und quieken an. Jedem das Seine!)


Bei unserer letzten Übernachtung in Rumänien haben wir wohl den krassesten Fehlgriff von allen Reisen getan. Entnervt von einer langen, erfolglosen Suche, haben wir dann einfach des nächste Haus am Wegesrand angesteuert. Der Sohn des Hauses sprach italienisch, man wurde schnell handelseinig. Dann, beim Abendessen, die alte Mutter hatte einen Rest vom undefinierbaren Mittagessen für mich aufgewärmt, merkten wir, wo wir hineingeraten waren. Ein Stundenhotel! Immer wieder kamen Herren mit aufgetakelten Schönheiten, legten ein paar Scheine auf die Theke und verschwanden im Obergeschoss. Einer kam schon nach fünf Minuten wieder runter. Er war sich wohl mit seiner Dame nicht handelseinig geworden. Die Alte gab ihm sein Geld zurück. Nun ging uns auch ein Licht auf, warum der Sohn so komisch uns gegenüber war. Die hatten bestimmt noch nie ein Zimmer für eine ganze Nacht vermietet. Trotzdem haben wir gut geschlafen, der Roller stand sicher im abgeschlossenen Innenhof. Anderntags servierte uns die Alte des Frühstück im Morgenmantel. Es war wohl mal wieder spät geworden.


Der Sohnemann erklärte uns auch noch den Weg nach Satu Mare, wo wir noch einmal an dem feinen Restaurant vorbeigingen, das uns zwei Jahre zuvor die Cola im geschliffenen Kristallglas serviert hatte. Dann suchten wir den Weg zur ungarischen Grenze. Ja, wir suchten, da die Beschilderung, wie so oft mangelhaft war. Immer wieder endeten die Straßen im Niemandsland. Bestimmt eine Stunde verging, bis wir endlich den kleinen Übergang erreichten. Übrigens, genau das gleiche passierte an diesem Tag ein zweites mal von Ungarn in die Slowakei.


Da wir nicht immer die gleiche Strecke durch Ungarn nehmen wollten, schlichen wir auf kleinen und kleinsten Straßen im Land nur Richtung Norden, wo auf unserer Karte eine Grenzstation markiert war. Die galt es nur zu finden. Verschiedene Wege endeten wie am Morgen als Sackgassen. Heilfroh waren wir, dass in dieser abgelegenen Gegend wenigstens noch eine Tankstelle auftauchte, denn der Benzinvorrat war bedenklich zur Neige gegangen. Der Tankwart versuchte, uns den Weg zu erklären, aber das half letztendlich auch nicht weiter. Also weitersuchen. Klar, dass es irgendwann klappte, aber reichlich spät. Nur ungern suchen wir im Dunkeln ein Nachtquartier. Ausgebucht, ausgebucht, ausgebucht. Die Nerven lagen blank. Als dann jemand nicht ausgebucht sagte, habe ich einfach zugeschlagen. Man muss auch Kröten schlucken können. Für den Preis hätte ich in der Kölner City ein Hotelzimmer bekommen. Für eine Pension in der Slowakei war das Wucher.


Die weitere Heimreise verlief ohne Höhen und Tiefen. Der Silver Wing leerte Tankfüllung für Tankfüllung, quer durch die Slowakei und Tschechien. Bei Eger kamen wir Richtung Bayreuth nach Deutschland. In der Nähe von Bamberg dann noch ein Horror. Eine Warnleuchte, die ich nicht kannte, brannte im Cockpit. Runter von der Autobahn, Handbuch raus. Da las ich sinngemäß: „Ihre Variomatic ist defekt. Fahren Sie langsam zur nächsten Werkstatt.“ Guter Ratschlag am Samstagnachmittag. 

Später, wieder auf der Autobahn, kam mir die Erleuchtung. Exakt bei Kilometerstand 24.000 wird man gewarnt, der Keilriemen sollte auf Verschleiß geprüft werden. Die Handbuchschreiber hatten unnötigerweise die Pferde scheu gemacht.


Fast 7000 km standen auf dem Zähler, als wir glücklich wieder in den Heimathafen einliefen. Der Silver Wing hatte seine Feuertaufe bestanden. Keinerlei Defekte waren aufgetreten und die zwei Stürze hatte er klaglos weggesteckt.




Der nun folgende Abschnitt hat nur indirekt mit unserer Reise zu tun. Er wendet sich vornehmlich an Leute, die selbst ein motorisiertes Zweirad fahren.

Die beiden Stürze an einem Tag hatte ich noch nicht verdaut, zumal mich mein Hinterteil noch ständig daran erinnerte. Was hatte ich falsch gemacht und was könnte ich tun, um in Zukunft nicht wieder so bedröppelt am Straßenrand stehen musste?

Mir war klar, dass in beiden Fällen das Vorderrad blockiert hatte und ursächlich für beide Stürze war.


Doch warum hatte es blockiert?

Der Hauptgrund war die Beladung. Besetzt mit einem Solofahrer hat die Maschine eine Lastverteilung zwischen Vorder- und Hinterrad, die problemlos ist. Durch die Sozia, die direkt auf dem Hinterrad sitzt, kommt nur zusätzliches Gewicht aus dieses, die prozentuale Lastverteilung verschlechtert sich. Dann aber kommt das Topcase. Am Urlaubsanfang noch schwer beladen, ragt es weit nach hinten und bedingt, unterstützt von den Hebelgesetzen, eine gravierende Entlastung des Vorderrades.

Teure Motorräder und auch Roller werden teils serienmäßig, teils gegen Aufpreis mit ABS (Antiblockiersystem) ausgerüstet. Meiner hatte keins, obwohl Honda auch für den Silver Wing ABS ab Werk anbot. Ob Nachrüsten möglich ist, weiß ich nicht. Das scheint mir eher unwahrscheinlich, da dieser Fahrzeugtyp in Deutschland nicht mehr vertrieben wird. Fazit: ABS hätte beide Stürze mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert.

Aber was konnte ich tun?

Zur Technik der Bremsen an modernen Rollern gebe ich eine kurze Erklärung, da den Motorradfahrern (und den Laien sowieso) die Technik nicht allgemein bekannt ist. Weil ein Automatikgetriebe eingebaut ist, haben die Füße des Rollerfahrers nur noch die einzige Funktion, beim Anhalten das Umfallen zu vermeiden. Die linke Hand, die beim Motorrad die Kupplung bedient, betätigt nun die Hinterradbremse und das viel feinfühliger als ein bestiefelter Fuß. Mit der rechten Hand wird wie üblich die vordere Bremse angesprochen. Routinierte Zweiradfahrer bremsen fast ausschließlich mit dem Vorderrad, da seine Bremswirkung unvergleichlich stärker ist als hinten. 

Der Honda Silver Wing und einige andere haben nun eine Kombibremse. Die linke Hand aktiviert die hintere Scheibe und zusätzlich einen Bremskolben der vorderen. Die Rechte betätigt die beiden weiteren und wirkt dann so, als wenn man Anker wirft. 

Um mein Problem zu lösen, musste ich meine Reflexe umtrainieren. Erst über den Verstand, dann mit und mit reflexartig nur die Kombibremse ziehen war das Ziel. Die Vorderradbremse wurde damit über den Verstand zugeschaltet. Nach einer gewissen Zeit funktioniert das tatsächlich.

Dass dies auch Probleme in sich birgt, habe ich kürzlich erfahren: Zu spät hatte ich bemerkt, dass der Verkehr auf der Landstraße fast zum Stehen gekommen war. Reflexbedingt bremste ich mit links. Ich entging nur knapp einem Aufprall. Mit der Vorderradbremse wäre es vollkommen ungefährlich gewesen.

Meine Theorien hatten sich bewahrheitet, mein Seelenfrieden war wieder weitestgehend hergestellt.


 

Teil 4 

2007


Meine Frau, die sich Flimmchen nennen lässt, ist hemmungslos. Ich spreche hier nicht von dem Sinn, in dem das Wort meistens gebraucht wird, sondern in der Auswahl der Reiseziele für den Rollerurlaub. Im Fernsehen hatte sie mal einen schönen Bericht über Jalta gesehen und war in Gedanken schon da. Ich brauchte doch „nur“ hinfahren. Noch vor wenigen Jahren war die Ukraine als Reiseziel für mich, speziell mit dem Roller, noch genau so weit entfernt wie der Mond. Doch dann fiel die Visumpflicht fort, das Land öffnete sich dem Westen, die politischen Verhältnisse waren oft Themen der Nachrichtensendungen, wenngleich die Informationen für den Urlauber eher beunruhigend waren. „Alles nur in Kiew“, trösteten wir uns. 

Tourenplaner im Internet, die sonst jeden Heustadel finden, versagen kläglich, wenn Ziele in der Ukraine gefragt sind. 

Reiseliteratur ist nur spärlich auf dem Markt, immerhin ein Buch über die Krim aus unserer Lieblingsreihe „Reise Know How“. Außerdem gibt es eine hervorragende Landkarte aus dem gleichen Verlag aus der Serie „wasserfest und unzerreißbar“ im Maßstab 1:1 Million. Der ADAC, sonst eine beliebte Quelle für Reiseinformationen, hatte überhaupt nichts über die Ukraine im Programm. Alles Weitere blieb also weitestgehend dem Pfadfinder in mir überlassen.


So starteten wir an einem Samstag in der zweiten Augusthälfte. Wie immer mit reichlich Gottvertrauen und dem nötigen Schuss Naivität. Wir wussten halt nur, dass es weit war bis Jalta, verdammt weit.

So legten wir an den Anfang zwei Autobahnetappen. Die erste ging bis Magdeburg. Warum gerade Magdeburg?. Ganz einfach, da waren wir noch nie gewesen. Außerdem, vielleicht gab das den Ausschlag, hatten wir im Internet ein Hotel aufgetan, das 30,- € Wochenendrabatt gab. Sein Vorteil waren die gute Ausstattung und das exzellente Frühstück. Sein Nachteil, es lag auf der „Grünen Wiese“, dort wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Dafür unmittelbar am Flugplatz, der am Wochenende mausetot war. Mit dem Roller waren wir in zehn Minuten in der City. 

Alte Kirchen, Schlösser oder Rathäuser hat fast jede Stadt, die etwas auf sich hält, zu bieten. So hat Magdeburg sein durchaus sehenswertes Domviertel. Aber einen von Hundertwasser gebauten Komplex hatte ich noch nie in natura gesehen. An diesem Ideenreichtum konnte ich mich lange Zeit nicht sattsehen. Schade, dass er diese Welt verlassen musste, unmittelbar nachdem die Magdeburger ihr Kunstwerk hatten.

Hundertwasser in Magdeburg


Anderntags ging's wieder auf die eintönige Autobahn. Doch von wegen eintönig. Wir waren erst einige hundert Meter drauf und hatten gerade unsere Reisegeschwindigkeit erreicht, als ein vor uns fahrender Pkw plötzlich Unmengen kräftige Rauchwolken ausstieß. Motorschaden, Exitus dachte ich noch. Dann hatte der dichte, schwarze Rauch die ganze Fahrbahn eingenebelt und ich fuhr trotz Panikbremsung mit noch rund 80 km/h in die Finsternis. Absolut keinerlei Sicht. Als ich endlich zum Stehen kam, hatte sich der Rauch auch schon wieder gelichtet. Weit vor mir sah ich, wie der Pkw von der Autobahn runterfuhr, als wäre nichts gewesen. So als hätte ich umsonst Todesangst ausgestanden.

Danach wurde die Autobahn tatsächlich eintönig bis hinter Krakau.


Dort liegt die kleine Stadt Wieliczka, die man uns dringend zur Besichtigung empfohlen hatte. Dort gibt es ein Salzbergwerk mit so imposanten Sehenswürdigkeiten, dass es zum Weltkulturerbe der UNESCO erklärt wurde. Nun hatten wohl viele der jährlich rund 1 Million Besucher ausgerechnet an diesem Sonntag beschlossen hier Quartier zu nehmen. Bestimmt zwanzig Absagen erhielten wir in Hotels, Pensionen und Privatquartieren. Die einzigen zwei freien Betten waren wahnsinnig überteuert. Einigermaßen frustriert verließen wir die Stadt Richtung Ukraine und spielten schon mit dem Gedanken, das Salz nur noch im Salzstreuer zu besichtigen. Etliche Kilometer vor der Stadt sahen wir wieder einmal ein Hotel am Wegesrand. Neubau, großer Parkplatz, gepflegte Grünanlagen. Geschätzte Preiskategorie 70,- €/Doppelzimmer. Weichgekocht, wie wir waren, hätten wir schon in diesen sauren Apfel gebissen. Dann die positive Überraschung: 35,- € mit Frühstück. Ein gepflegtes Restaurant zum Abendessen rundete das positive Bild ab. Glück muss man haben.


Von einem guten Frühstück gestärkt machten wir uns auf zur Besichtigung des Salzbergwerks. Zwei Wermutstropfen gab es schon, ehe es losging. Eine Führung in Deutscher Sprache sollte erst um 10.45 Uhr beginnen und eine Führung in einer anderen Sprache als polnisch kostete fast das Doppelte. Ob unsere Führerin das Doppelte von Ihren polnisch sprechenden Kollegen verdiente, wage ich zu bezweifeln. Riecht stark nach Abzocke für Besucher aus Deutschland, Italien, Frankreich und englischsprechenden Touristen.

Dann ging es endlich in die Unterwelt. Unser Guide erzählte uns, es gäbe 2148 Kammern und rund 300 km Gänge auf neun Ebenen. Der Abstieg ging auf teils hölzernen Stufen, teils auf ins Salz gehauenen zunächst bis auf 64 m unter Niveau. Dort begann dann der Rundgang. Vorbei an überlebensgroßen Statuen, biblischen Szenen, alle aus dem Salz geschnitzt. Schauobjekte aus vielen Jahrhunderten informierten über die Techniken des Salzabbaus. Riesige Säle, geheimnisvolle Seen, alles stimmungsvoll beleuchtet. Eine prächtige Kirche, natürlich auch ein Restaurant und ein Souvenirladen dürfen nicht fehlen. Für Patienten, die an Erkrankungen der Atemwege leiden, gibt es ein tief unter der Erde gelegenes Sanatorium. Der Abstieg hatte insgesamt 365 Stufen. Der Weg nach oben wurde gottseidank mit einem Lift bedient. Noch mehr als eine Woche hatte ich Muskelkater in den Waden. Aber sehenswert war es allemal. Sehr zu empfehlen.

Kirche im Salzbergwerk (im Internet geklautes Foto)


Kennen Sie Rzeszow? Keine Bildungslücke. Paris, London, Rom oder Berlin kennt jeder und jeder weiß, dass Hotels in Metropolen nicht gerade billig sind. Aber warum muss in dieser kleinen Großstadt im hintersten Polen ein Hotelzimmer 90,- € kosten? Frühstück nicht inclusive. Dazu noch der obligatorische Hotelparkplatz, der für den Roller noch einmal 9,-€ kosten sollte. Mit diesen Informationen kam meine Frau von der ersten Anfrage zu mir zurück an den Roller, wo ich derweil eine Zigarette geraucht hatte. „Aber ausgesprochen nette und hilfsbereite Damen an der Rezeption, das findet man selten“, wusste sie noch zu berichten.

Für 32,- € haben wir dann doch noch etwas Brauchbares gefunden. Aber Madam war weder nett noch schön noch hilfsbereit. Vielleicht verstand sie aber auch nur nicht unsere Sprache.


Es war wohl doch nicht die E 40, auf der wir am nächsten Tag in die Ukraine reisten. Es ging mitten durch Dörfer mit Hühnern und Gänsen auf der Straße, Bauern mit Pferdefuhrwerken, eben wie eine Dorfstraße.

Die Kontrollen an der EU-Außengrenze hatten wir geduldig über uns ergehen lassen und für den Anfang mal 50,- € in UAH (Hryvnia) gewechselt, wie vermutet zu einem miserablen Kurs. Statt 6,65 für einen € gab es nur 6,00 von der Währung, die etwa wie „Griwnja“ ausgesprochen wurde. Damit mussten wir nun die nächsten zwei Wochen leben. Der Euro war im ganzen Land weitgehend unbekannt. Nach wie vor war der US-Dollar eine feste Bezugsgröße, zumal er einfach umgerechnet wurde. 1 US $ = 5 UAH. Erst als wir dahintergekommen waren, dass unsere Währung „Evro“ ausgesprochen wird, wussten wenigstens die Leute von was wir sprachen. 


Ein Laden, die Post, die Bushaltestelle und zwei Kneipen ließen uns vermuten, im Zentrum einer Ansiedlung zu sein. Da uns der Hunger plagte, mussten wir versuchen, etwas zu essen zu bekommen. Was Speisekarte heißt, war mir geläufig, auch das Getränk war problemlos zu bestellen. „Menju“ und „Mineralna Voda“. Dann ging es aber los. Weder die kyrillischen Buchstaben noch die aufgeführten Gerichte weckten in mir irgendeine Ahnung, wie ich an Essen für meine Frau und mich kommen konnte. Da bat ich die Kellnerin an den Tisch, schaute ihr fest ins Gesicht, ließ einen Finger über der Speisekarte kreisen und stürzte ihn blindlings hinab. Die Dame schaute mir fassungslos zu und sah dann nach, was ich getroffen hatte. Ich hob einen Daumen, um ihr anzudeuten eine Portion davon und machte die gleiche Prozedur ein zweites mal. Wir waren beide gespannt wie Flitzebögen und harrten der Dinge, die kommen würden. Besser ging es kaum. Eine Schüssel leckerer Salat mit Gurken, Tomaten, Käsewürfeln, Oliven usw. Das zweite Gericht waren frisch gebackene Reibekuchen (Reiberdatschi, auch Kartoffelpuffer genannt) mit einer cremigen Soße und Salatgarnitur. Dazu frisches Brot. Uns hat es köstlich geschmeckt. Das hätte aber auch ins Auge gehen können.


Im Reiseführer wird geschwärmt von den malerischen kopfsteingepflasterten Straßen und Gassen im Zentrum. Für den Rollerfahrer ist das eher der Horror. Man wird durchgerüttelt, von Autos bedrängt, die schneller fahren wollen. Man schwitzt, dass einem der Saft an den Beinen runterläuft. Man fährt, bis die Nerven blank liegen und hat noch immer kein Hotel gesehen. 

Die Rede ist von L‘viv, der Metropole im äußersten Nordwesten der Ukraine. Der deutsche Name ist Lemberg. Irgendwann habe ich den Roller einfach stehengelassen, den Helm vom Kopf gerissen, eine Zigarette angesteckt und bin in den Schatten eines Hauseingangs geflüchtet. „Alles muss man selber machen, du bist aber auch für nichts zu brauchen.“ Dann zog meine Frau wütend zu Fuß los. Jeder muss halt seinen Frust irgendwie abbauen, dachte ich bei mir. Nach endlos langer Zeit kam sie strahlend wieder. Sie hatte das Hotel George aufgetan. Diese Haus am Kopfende eines langgestreckten Platzes war 1901 erbaut worden. Es hatte schon bessere Zeiten erlebt, als es für die Schickeria und den Adel der damaligen Zeit die erste Adresse war. Heute bietet es für die weniger Betuchten schon Doppelzimmer ab 38,- $ an. Aber es hat sich das Flair eines Luxushotels erhalten. Angefangen vom livrierten Alleskönner vor dem Haus über die fremdsprachengewandten Damen an der Rezeption über das prunkvolle Foyer bis hin zur kuscheligen Bettwäsche. Nur unseren Roller vor dem Haus auf dem Gehweg wollte man nicht tolerieren und warnte vor Abschleppmaßnahmen der Polizei. Ohren steif halten, einfach garnicht ignorieren.

Das Frühstück am folgenden Morgen wird uns noch lange in Erinnerung bleiben. Es begann mit dem weiblichen Dragoner, der den Gästen ihren Tisch zuwies. Wer sich einfach an einen freien Tisch setzte, wurde mit Blicken bedacht, die töten konnten und mit schleppender Bedienung abgestraft.

Dann kam ein Paar an unseren Tisch und sprach uns in passablem Deutsch auf unser Fortbewegungsmittel an und lobte uns für unsere Unternehmungslust in dem Alter, obwohl sie nur wenige Jahre jünger waren als wir. Aber eigentlich wollten sie hauptsächlich von sich selbst erzählen. Sie stammten aus Holland und wohnten nun schon 15 Jahre in Neuseeland. Zurzeit waren sie auf einer Reise von Peking nach Paris. Mit dem Fahrrad!!! Hundert Tage hatten sie angesetzt und lagen recht gut in der Zeit. Die paar Kilometer bis nach Paris waren für sie nur noch eine Lachnummer. Sie erzählten uns von unsäglichen Strapazen und freundlichen Menschen, unvergleichlich schönen Landschaften und einsamen Strampeleien durch endlose Steppen Innerasiens. Schließlich zeigten sie uns noch ihr universelles „Sprachlexikon“. Ein Büchlein mit hunderten von Farbfotos, die alles zeigten, was ein Reisender jemals brauchen könnte. Da sah man jegliche Arten von Speisen, egal ob Hummer oder Spiegelei, Tomate oder Avocado. Alle Kleinigkeiten vom Streichholz bis zur Batterie, von Zigaretten bis zur Luftpumpe. Das Luxushotel war ebenso wie die Wechselstube zu sehen. Landkarten aller Kontinente durften natürlich auch nicht fehlen. Auch schematische Darstellungen des menschlichen Körpers gab es für den Arztbesuch. Das geniale war ja, dass jeder Mensch die Bildchen verstand.

Da hatte es bei uns endlich klick gemacht. Wir besaßen selbst so ein Heftchen. Es war sogar im Reisegepäck. Tief unten im Topcase haben wir es gefunden und ab dann war es stets in meiner Westentasche griffbereit. Es heißt „point it“ und hat uns seither unzählige gute Dienste geleistet. Dass wir nicht schon lange darauf gekommen sind!

Vor der Abreise aus Lemberg haben wir noch unsere beiden Handys mit ukrainischen Simkarten bestückt. Nun konnten wir recht billig miteinander telefonieren.


Meine Heimatstadt Düren hat, wie so viele andere, Städtepartnerschaften weltweit. Eine sogar in China. Einige sind im Bewusstsein der Bürger, weil viele und regelmäßige Kontakte bestehen, andere weniger bis überhaupt nicht. Fragt man bei uns den „Mann auf der Straße“ nach unserer ukrainischen Partnerstadt, wird er in aller Regel den Kopf schütteln. Sollte er trotzdem vom Vorhandensein wissen, fällt ihm zum Namen bestimmt nichts ein. Ich kann mich rühmen, eine Ausnahme zu sein, aber nur, weil ich seinerzeit die Beschriftung eines Findlings ausgeführt habe, auf dem alle Partnerstädte aufgeführt sind. Vor Urlaubsbeginn hatte ich mich schlau gemacht, wo diese Stadt zu finden sein könnte. Sie heißt Stryi und liegt fünfzig Kilometer südlich von Lemberg/L‘viv. 

Stryi hat, wie übrigens jeder, selbst der kleinste Ort in der Ukraine, am Eingang ein imposantes Ortsschild. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich erkannte, was auf diesem monströsen Gebilde dargestellt ist. Es ist der Name in ukrainischer Sprache: CTPNÑ

Die Partnerstadt


Bei der Rundreise durch das Zentrum habe ich mir von unserer Partnerstadt ein Bild gemacht. Nichts Beeindruckendes, aber das hat Düren ja auch nicht. An einer belebten Kreuzung nutzten wir die Außengastronomie für ein ausgedehntes Mittagsmahl. Haben dabei dem lebhaften Treiben zugesehen und hatten genug zu sehen, um ausgiebig zu lästern.

Wir kannten niemanden in unserer Partnerstadt, keiner hat uns aufgrund unseres Kennzeichens als Besuch aus Düren entlarvt, so blieb die Begegnung etwas einseitig und wir konnten gut gestärkt und ausgeruht die Reise fortsetzen.


Durch hügeliges Land mit Weinbergen und Feldern fuhren wir durch sehenswerte Landschaften, bis wir am frühen Abend die Stadt Czernowitz erreichten. Dann begann wieder die übliche, für mich nervige Prozedur der Hotelsuche. Wenn ich meiner Frau Glauben schenken kann, macht es ihr ungemein Spaß, mich zu zwanzig (sie bestreitet das vehement, die Anzahl sei sechzig) verschiedenen Hotels zu dirigieren, bis ich zickig werde und sie einsieht, dass sie den Bogen überspannt hat. Ich will doch nur einige Stunden mein müdes Haupt betten, nicht ein Quartier für drei Wochen sorgfältig auswählen. Endlich fand ein Hotel Gnade vor ihren Augen. Am späten Abend meldete sich der Hunger. Da ich gehfaul bin, musste ich in den ersten Schnellimbiss gehen. Das hat immerhin den Vorteil, dass man nur auf ein Gericht in den Warmhalteboxen zeigen musste, um das zu bekommen, von dem man annahm, es könnte schmecken. Mein Flattermann war alt, zäh und nur halbwarm, der Reis war nichtssagend und die Bedienung zog eine Fresse, weil wir es gewagt hatten, sie bei ihrer Lieblingssendung im Fernsehen zu stören. Herausragend war allerdings das Bier. Frisch vom Fass für 2,50 UAH = 0,38 € der halbe Liter. Das Ambiente war so trist, dass ich auf ein zweites verzichtet habe, zumal es für 3,00 UAH sowieso überall zu haben war.

Am nächsten Morgen habe ich elend lange gesucht, bis ich die richtige Strecke aus der Stadt heraus gefunden hatte. Die Beschilderung war, wie üblich, miserabel und fehlende Sprachkenntnisse brachten mehr Probleme als sie lösten, wenn man nach dem Weg fragte. Wäre es denn zu viel verlangt, Schilder mit der Aufschrift „Moldawien“ anzubringen, zumal nur eine Straße zum einzigen, fünfzig Kilometer entfernten, Grenzübergang führte. Am Stand der Sonne habe ich mich letztendlich orientiert und war erfolgreich.


Das Gebiet des heutigen Staates Moldawien hat eine lange und wechselvolle Geschichte hinter sich. Für den Touristen von heute ist es wichtig, zu wissen, dass Moldawien nach dem Ersten Weltkrieg ab 1918 zum Staat Rumänien gehörte. Die Bevölkerung besteht noch heute zu 85% aus Rumänen. Als Hitler und Stalin sich seinerzeit zusammensetzten, um ihre Einflusssphären in Osteuropa abzustecken, kamen sie überein, dass alles Land jenseits des Grenzflusses Prut sowjetisches Gebiet wurde. So wurde das heutige Moldawien eine der vielen Sowjetrepukliken im Verbund der UDSSR. Fortan war russisch Amtssprache und das kyrillische Alphabet wurde eingeführt. Als das Riesenreich Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts auseinanderbrach, entstand 1991 das heutige Moldawien als souveräner Staat. Diesseits und jenseits des Prut träumte man von der Wiedervereinigung. Was wir in Deutschland erleben durften, ist Moldawien und Rumänien aus vielerlei Gründen nicht gelungen. Aber man hatte nichts Wichtigeres zu tun, als unverzüglich unsere lateinischen Schriftzeichen wieder einzuführen. Jeder kann sich ausmalen, was nach 65 Jahren kyrillischer Schrift nun passierte. Nur ganz alte und ganz junge Menschen kommen mit der neuen Schreibweise zurecht. Die breite Masse der Bevölkerung kommt damit nicht klar. Also bleibt alles beim alten. Daher änderte sich auch für uns, was beispielsweise das Lesen von Speisekarten angeht, nicht allzuviel.


Das sollten wir schon bald zu spüren bekommen. 

Nach dem umständlichen Grenzübertritt fuhren wir über mäßig ausgebaute Straßen durch eine wunderschöne Landschaft der Hauptstadt Cisinau entgegen. In einer kleinen Stadt dachten wir, etwas für unsere leeren Mägen zu finden. Bei brütender Hitze schlichen wir, ich war sehr auf Schatten bedacht, die Hauptstraße entlang. Dabei fiel uns ein Schild „Pizza“ ins Auge. Erst sah es nach einem Kramladen aus, dann entdeckten wir die Treppe ins Obergeschoss, wo im Halbdunkel an allen Tischen eifrig gespeist wurde. Wir fanden für uns noch ein Plätzchen und studierten mal wieder die Speisekarte, die natürlich in kyrillischer Schrift abgefasst war. Einzig das Wort Pizza konnte ich entziffern. Da bot ein junger Mann vom Nachbartisch in reinstem Deutsch seine Hilfe an. Er saß mit einigen Moldawiern zusammen, die alle seltsame Uniformen trugen. Er erzählte uns, dass er von der EU beauftragt sei, als Instruktor im Land Fachleute zu schulen, um gegen die Korruption vorzugehen. Untereinander sprachen sie englisch. So wurde mit doppelter Dolmetscherei die Karte für uns übersetzt. Die netten jungen Männer gaben der Kellnerin auch gleich unsere Bestellung in rumänisch an. 


Es war schon ziemlich spät, als wir endlich in der Hauptstadt Cisinau ankamen. Die Reise durchs Land hatte uns gut gefallen, eber wegen der unebenen Straßen waren wir einfach nicht gut vorangekommen. Auf der Fahrt ins Zentrum hatten wir kein einziges Hotel entdeckt und machten erstmal eine Rast am Straßenrand. Dabei wurden wir von einer deutschen Dame angesprochen. Sie war in Begleitung einer jungen Moldawierin. Die zwei konnten uns bestimmt helfen. Im Gespräch stellte sich heraus, dass die Deutsche seit ewigen Zeiten schon in Italien wohnt und nun im Auftrag einer italienischen Regierungsstelle moldawisches Pflegepersonal in der italienischen Sprache auszubilden. Da rumänisch und italienisch zwei verwandte Sprachen sind, war das nicht allzu schwierig, entsprechend viele Damen durch die Abschlussprüfung zu bringen. Richtig erfolgreich waren übrigens die vielen Moldawierinnen, die schon vorher jahrelang illegal in Italien gejobbt hatten und nun für ihre Illegalität auch noch mit legalen  Jobs belohnt wurden. Parallelen zu Deutschland und den polnischen Pflegekräften im Haushalt deutscher Senioren waren unverkennbar.

Die Deutsche und ihre Dolmetscherin boten Hilfe bei der Hotelsuche an. Sie wollten uns einen Stadtplan schenken, auf dem sie uns zeigten, wo ein preisgünstiges Hotel ist. Da die Suche bei der aufkommenden Dunkelheit schwierig zu werden schien, kamen wir auf die glorreiche Idee, ein Taxi zu rufen, das uns als Guide zu besagtem Hotel führen sollte. Die junge Dolmetscherin gab dem Fahrer die Adresse vor, sagte uns den vereinbarten Preis für die Fahrt und verabschiedete sich zusammen mit der Deutschen von uns. Eine lange Reise durch Cisinau folgte. Das war keineswegs zu dem Hotel, das man mir im Stadtplan gezeigt hatte. Wir kamen tatsächlich zu einem Hotel, aber von wegen preisgünstig. Nach landesüblichen Einkommensverhältnissen hätte man für den Preis eine Luxussuite erwarten können. Als wir um 21.00 Uhr in das Restaurant kamen, hieß es, die Küche sei schon geschlossen. Da musste ich mich mit meinem eigenen Kalauer trösten. „Das bisschen, das ich esse, kann ich auch trinken.“ Wahrscheinlich haben zwei Flaschen Bier genug Kalorien. Wenigstens unserem Roller ging es gut. Er parkte kostenlos im Hintergrund des Biergartens.

Am nächsten Morgen, beim Auschecken frage ich den Hotelier, der fließend Englisch sprach, nach der Route durch Transnistrien Richtung Odessa. Er riet mir dringend davon ab. Ich folgte seinem Rat, aber im Nachhinein tut es mir leid.

„Was ist denn Transnistrien?“, werdet ihr jetzt fragen. Kurze Antwort: Ein nach eigener Ansicht souveräner Staat, der jedoch von keinem einzigen Land der Welt anerkannt ist. Zu Zeiten der Sowjetunion gehörte das Gebiet zur Republik Moldau. Als im Zuge der Auflösung Anfang der neunziger Jahre der Staat Republik Moldau, kurz Moldawien, entstand, wollten die Bewohner des Landstrichs jenseits des Flusses Dnister (Dnjestr) nicht mitspielen und hielten einfach die Zeit an. Lenin wird nach wie vor verehrt, Währung ist weiterhin der Rubel, natürlich wird kyrillisch geschrieben, es gibt nur eine Partei und Pressefreiheit kennt man nicht. „Wahlen“ gewinnt der „Präsident“ mit mindestens 99,9% und mehr. Unsummen gibt das bitterarme Land für eine überdimensionierte Armee aus. Dafür hat es keine Ausgaben für Diplomatische Vertretungen. Haha. Aus Zeiten der UDSSR besteht noch ein Stahlkombinat, das einst Waffen für das Riesenreich produzierte, und die heute auf teils seltsamen Wegen ihre Abnehmer finden. 

Moldawien betrachtet dieses Gebiet, das zwischen dem Dnister und der Ukraine einen schmalen (manchmal nur 5 km), langen (210 km) Streifen bildet, als abtrünnige Provinz. Bisher führten keine der internationalen Bemühungen zu einer Lösung des Problems. 


Wir nahmen also nicht die Hauptroute, sondern Nebenstraßen, um auf direktem Wege wieder in die Ukraine zu gelangen. Während der Fahrt fiel wiederholt der Tacho der Silver Wing aus, auch die Kilometer wurden nicht weiter gezählt. Das war schon zuhause einmal kurz passiert, aber dann nie wieder aufgetreten. Jetzt ging es stundenlang, um dann ohne erkennbaren Grund plötzlich wieder wie normal zu arbeiten. Im weiteren Verlauf des Urlaubs fiel der Tacho einmal drei ganze Tage aus, und ich dachte, jetzt ist er endgültig hinüber, dann spielte er eine ganze Woche am Stück ohne Aussetzer. Mich hat das stark irritiert, zumal ich bei jeder Tankfüllung den Tageskilometerzähler auf Null setze und bestens über die Reichweite informiert bin. Ja, auch die gesamte, im Urlaub gefahrene Strecke kann ich nur schätzen.

Als wenn das nicht schon genug wäre, machte mein Silver Wing auch noch weitere Probleme. Immer wieder einmal kam für Sekunden kein Sprit, natürlich immer dann, wenn man es am wenigsten brauchen konnte. Lkw überholen, erst satte Beschleunigung und dann auf Höhe des Fahrerhauses nichts mehr, aber der Gegenverkehr kommt rasend schnell näher. Schrecksekunde, dann wieder voller Schub. Gerade noch gut gegangen. Kurvenfahrt, schön am Gas, plötzlich abrupte Motorbremse, dann passen Schräglage und Geschwindigkeit nicht mehr zusammen, man muss sich ans Zaubern geben. Eine Warnlampe im Cockpit leuchtete zeitweise auf und befahl mir, umgehend eine Werkstatt aufzusuchen, da die elektronische Einspritzung defekt sei. Im Umkreis von tausend Kilometern gab es so etwas nicht. Also hoffen und zittern


Wir fuhren nach dem Stand der Sonne, Wegweiser existierten auf der ganzen Strecke überhaupt nicht. Allenfalls ein Hinweis auf ein nahegelegenes Dörfchen, das natürlich in meiner ansonsten guten Landkarte nicht zu finden war. Es ging durch dünn besiedeltes, landwirtschaftlich genutztes Gebiet auf Straßen, die immerhin meistens 60 km/h zuließen, selten mehr. Irgendwann, als wir schon leicht verzweifelt durchs Niemandsland zuckelten, tauchte dann doch noch überraschend die Grenze auf. 


Nach den üblichen, nervenden Kontrollen beider Seiten waren wir wieder in der Ukraine. Hier trafen wir auf die gut ausgebaute Hauptstrecke, die E 87, von Rumänien nach Odessa am Schwarzen Meer. 

Diese Riesenstadt habe ich weitläufig umfahren, immer darauf bedacht, auf Hauptstrecken zu bleiben. Unser nächstes großes Ziel stand nun oft auf den Wegweisern. Simferopol, die Metropole mitten auf der Halbinsel Krim. Aber bis dorthin war es noch elend weit. Diese rund 530 km ab Odessa führten durch eine eintönige, teils landwirtschaftlich genutzte, teils steppenartige Abschnitte mit einer unglaublichen Monotonie. Die Sonne knallte unbarmherzig vom Himmel. Abwechslung brachte schon mal ein Tankstop mit einem Kaltgetränk. Eine längere Pause machten wir an dem Kanal, der fast 100 km unmittelbar neben der Landstraße verlief. Hunderte von Möwen hatten sich auf dem Wasser niedergelassen und ließen sich treiben, bis sie plötzlich ohne erkennbaren Grund alle gleichzeitig fortflogen und sich woanders wieder niederließen. Ukrainer kamen auf museumsreifen Fahrrädern vorbei, lagerten, sprangen auch ins Wasser, um ein paar Züge zu schwimmen und leerten dann ihre mitgebrachten Bier- und Wodkavorräte.

Ansonsten war es so eintönig, wie noch nicht einmal längere Strecken Autobahn in Deutschland, die ich bisher für monoton gehalten hatte, und ich dachte schon mit Grauen an die Rückreise, die ja weitestgehend nur über die gleiche Route führen konnte.


Hin und wieder sahen wir ukrainische Biker. Sie sind mit den unsrigen nicht gut zu vergleichen. Typisch ist eine Maschine der Marke Dnjepr. Dies ist ein russischer Nachbau von erbeuteten Maschinen Marke BMW der Deutschen Wehrmacht. Also ein Zweizylinder Boxer luftgekühlt, je nach Ausführung etwa 600 ccm und etwa 25 PS. Inzwischen sind tatsächlich Weiterentwicklungen gebaut worden, aber nur für die Nostalgiker im Westen. Sie werden bei uns spöttisch „Stalins Rache“ genannt. 

Die Ukrainer fahren nur die Uraltversion, oftmals mehr als vierzig Jahre alt und immer mit Seitenwagen. Meistens ist dieser nur eine Plattform, die mit Planken belegt ist. Darauf kauern dann in ländlichen Gegenden schon mal zwei oder drei Mitfahrer und werden zur Ernte aufs Feld gefahren. Mit zwanzig Kisten Tomaten bepackt geht es dann wieder zurück zum Hof. Vielfach ist auch das Rad des Seitenwagens angetrieben, also der Unimog (= Universalmotorgerät) des kleinen Mannes. Der Biker trägt auf dem Kopf entweder sein kurzgeschnittenes Haupthaar oder eine Baseballkappe, wohlhabende schmücken sich mit einer coolen Sonnenbrille. Die Schutzkleidung für den übrigen Körper besteht aus nacktem Bauch und Shorts, seltener sind T-Shirts anzutreffen. Übrigens, der unbekleidete Oberkörper der Herren scheint nicht anstößig zu sein. Selbst in der Großstadt schafft man sich massenhaft diese luftige Erleichterung bei der Hitze. Scheinbar schwitzen alte Fettsäcke aber mehr als junge Männer mit Waschbrettbauch. Derart stark schwitzende Frauen sieht man nicht, aber sie sind zu riechen.


Nach einer Übernachtung auf halber Strecke zwischen Moldawien und Simferopol erreichten wir diese zentrale Stadt am späten Abend. Ab hier hatten wir einen ausführlichen Reiseführer, der alles Sehenswerte ausführlich beschrieb. 

Simferopol ist Dreh- und Angelpunkt der Krim. Zentral gelegen verfügt diese Großstadt über einen internationalen Flughafen mit Verbindung in alle Welt. Vom Hauptbahnhof gehen gute Verbindungen sowohl nach Kiew und Moskau als auch an die Küste nach Sewastopol und den Osten der Krim. Vor dem Hauptbahnhof standen wir zuerst mal reichlich ratlos in der wuselnden Menge von hastenden Reisenden, hupenden Taxen, überquellenden Autobussen und lungernden Schlitzohren. Unser Reiseführer hatte uns weisgemacht, in diesem Bereich seien einige brauchbare Hotels zu finden. Also machten wir uns auf, davon eins für uns zu finden. Nach mehreren Runden mit zwei Absagen und zwei recht teuren Angeboten standen wir wieder auf dem Bahnhofsvorplatz. Jetzt versuchte ich, einem Taxifahrer klarzumachen, er solle uns als Guide zu einem weiter entfernten, nett beschriebenen Hotel geleiten. Er verstand mich nicht richtig und holte zwei Kollegen dazu, von denen er behauptete, sie sprächen Englisch. Wieder klappte die Verständigung nicht. Ich ging enttäuscht zurück zum Roller, die Taxipiloten hinter mir her, um vielleicht doch noch ein Geschäft zu machen. Meine Frau stieg auf und wir nahmen dann kurzerhand  ein Hotel, das uns vorher noch zu teuer war. Zumindest war man dort ausgesprochen zuvorkommend und bot uns auch einen kostenlosen Stellplatz im abgeschlossenen Hof an. Auch das Frühstück auf der zur Straße liegenden Terrasse war ein sehr guter Start in den Tag. Aber von der Großstadt hatte ich mal wieder die Schnauze voll.


Auf halbem Weg zwischen Simferopol und Sewastopol liegt die kleine Stadt Bakhchysarai. Der Name bedeutet „Stadt der Gärten“, gesehen haben wir nichts davon. Keine Ahnung, wie man das Wortungeheuer ausspricht, aber hier war einmal die Hauptstadt des Herrschergeschlechts der Krimkhane. Die haben sich etwas außerhalb in einem lieblichen Seitental einen großartigen Palast erbaut. Die Anlage ist liebevoll restauriert, in hervorragendem Zustand und zieht daher Touristen aus aller Welt an. Bei der Anfahrt trafen wir ein polnisches Paar auf einer BMW, die auch angehalten hatten, weil mal wieder nicht ausgeschildert war (wie auch schon in Bakhchysarei, sodass wir fragen mussten) wo es zum Palast geht.

Er sprach recht gut Englisch, sodass wir uns einige Zeit unterhalten haben. Dann folgten wir ihnen und kamen tatsächlich ans große Tor der Anlage. Da wir im Reiseführer eine recht genaue Schilderung hatten, konnten wir auf eine Führung verzichten. Während meine Frau in dem weitläufigen Anwesen umherwanderte, setzte ich mich an einen schönen, schattigen Platz und führte mir die Einzelheiten der Beschreibung zu Gemüte, um nachher mit meinem Wissen vor meiner Frau zu protzen.

Innenhof des Palastes


Weiter ging die Fahrt in dem inzwischen engen Tal. Rechts und links ragten weiße, bizarr geformte Felsen bis in den Himmel. An einem riesigen Parkplatz, der mit Bussen und Pkws vollgestellt war, endete die Straße. Nun führte nur noch ein Fußweg steil bergan zu einem Felsenkloster. Es war ein beschwerlicher, langer Aufstieg für mich. Den Wegesrand säumten unzählige Händler, die ihre Waren feilboten. Beim letzten Stand vor dem eigentlichen Klosterbezirk ließen wir bei einer jungen Dame, die Handgemaltes anbot, unsere schweren Motorradjacken. Endlich waren wir ganz oben. Die Aussicht war grandios. Neben uns ragten weiße Felsen bestimmt hundert Meter steil nach oben. Ein Kirchlein, zu dem eine breite Treppe emporführte, stand unter einem Felsenüberhang. Unübersehbare Mengen von Besuchern kamen zum Beten und zum Schauen. Eine besondere Attraktion, die außer mir jeder besuchte und benutzte, war die heilige Quelle. Man wusch sich die Füße und füllte Behältnisse mit dem heiligen Wasser. Vom Fläschchen bis zum 20 Liter Kanister für die Lieben daheim. 

Die Felsenkirche


Nach einiger Zeit schloss meine Frau sich einer Gruppe an, die weiterwanderte, während ich zurückging zu den Jacken, weil im gesamten Klosterbereich Rauchverbot herrschte. Es dauerte fast zwei Stunden bis meine Frau völlig geschafft aber glücklich zurückkehrte. Sie erzählte mir was sie alles gesehen und erlebt hatte, während ich die ganze Zeit die Karawane der Besucher studiert hatte, die mit ihren leeren Kanistern bergauf gingen und mit sauberen Füßen und schwer bepackt mit heiligem Wasser zurückkamen. 

Auf der Rückreise kehrten wir noch zu einem verspäteten Mittagessen ein. Hier tat uns das „Point it“ wieder gute Dienste. Zwei Männer am Nachbartisch hatten schon gespeist und waren beim Nachtisch angelangt, einer Flasche Wodka. Sie tranken ihn nach Landessitte aus Wassergläsern. Ich glaube, dass man denen ein Gläschen wie in Deutschland mit 2 cl garnicht hätte anbieten dürfen, ohne um sein Leben zu fürchten. Als die Flasche fast zur Neige gegangen war, torkelte einer zu seinem Auto, um etwas zu holen. Es war nicht die Telefonnummer der Taxizentrale. Da kann man nur gute Reise wünschen.


Wir fuhren durch die wunderschöne gebirgige Landschaft nach Sewastopol. Den Hinweisen Zentrum folgend ging es zunächst durch Vorstädte mit tristen Plattenbauten und Industrieanlagen, dann kamen auch mal gepflegte Grünanlagen und wir hatten schon mal einen Ausblick auf das Schwarze Meer und den Hafen. Dann fand ich ein Hotel, das alles zu bieten schien. Gepflegtes Ambiente, weiten Blick über die Stadt, abgesperrten Parkplatz vor dem Haus. Der Preis war nicht eben ein Schnäppchen, aber nach den unguten Erfahrungen der vergangenen Nacht wollte ich einfach nur meine Ruhe. Wir schleppten das Gepäck ins Haus und füllten die Meldezettel aus. Dabei fiel mir ein Schild ins Auge, auf dem stand „NO SMOKING HOTEL“. Auf Nachfrage wurde mir bestätigt, dass sogar vor dem Haus auf dem Parkplatz Rauchen untersagt war. „Sie müssen schon auf die Straße gehen“, meinte die Rezeptionistin. Wir gingen auf die Straße, aber mit unserem Gepäck unterm Arm. Meiner Frau fiel ein Stein vom Herzen. Erstens hatte es ihr sowieso nicht gefallen und zweitens hatte ich ihr fast ihre Lieblingsbeschäftigung vermasselt, in mindestens zwanzig Hotels anzufragen. Aus meiner Sicht war das „Shit happens“, aus ihrer „Glück muss man haben“. Da muss man durch. Nach längerer Sucherei haben wir dann doch noch einen echten Glückstreffer gelandet. 

Das HOTEL SEWASTOPOL.

"Unser" Palast in Sewastopol


Die nette Laberbacke


Da es im Laufe unserer Rollerreisen seit zwölf Jahren das einzige Hotel war, in dem wir drei Nächte zubrachten, möchte ich das Haus meinen Lesern mal beschreiben. Von außen bot es einen imposanten Anblick mit seiner säulengeschmückten Fassade. Hier sind zu seinen besten Zeiten nur Fürsten und Herrschaften abgestiegen. Drinnen eine kompetent besetzte Rezeption, die sich sehr um ihre Gäste kümmerte, ohne Rücksicht darauf, ob sie einfache Zimmer oder Luxussuiten (die gab es auch) gebucht hatten. Zwei breite, geschwungene Treppenläufe  aus edlem Marmor führten ins Obergeschoss. Hoch oben wölbte sich eine Glaskuppel und spendete reichlich Licht. Unser Zimmer gehörte zur einfachen Sorte, aber der einzige, kaum störende Nachteil war das Bad auf dem Flur. Ansonsten ein recht großer Raum, mit eigener Toilette. Unser Balkon mit Balustrade wies zu einer Seitenstraße und gab den Blick auf den Hafen frei. Geschäfte jeglicher Art hatten sich auf der Hauptstraße angesiedelt, Restaurants gab es in jeder Kategorie in den Seitenstraße und im nahegelegenen Hafen, teils direkt am Wasser. Eine Budenstraße und laute Musik sorgten für Rummelplatzathmosphäre. Einen kostenlosen Stellplatz für den Roller hatten wir im nachts abgeschlossenen Innenhof. Eine vollendete Überraschung war das Frühstück. Neben den üblichen Zutaten gab es jeden Morgen auch ein kleines warmes Gericht. Mal Nudeln mit Hackfleischsoße, mal ein kleines Schnitzel mit Bratkartoffeln und Gemüsebeilage. Aber das Tollste war der Preis für diesen Luxus. Pro Nacht 30,- €, nicht pro Person, sondern für beide. Ein redseliger Taxifahrer mit brauchbaren Deutschkenntnissen gab uns so manchen Tip und freute sich, wenn er bei seiner Warterei etwas Abwechslung hatte.


So starteten wir, gut gestärkt, mit neu gewechseltem Geld aus der im Hotel zu fairen Konditionen betriebenen Wechselstube zu einer Tagestour an die Schwarzmeerküste. Die Krim ist irgendwie die Gute Stube der Ukraine. Hier ist das Geld, hierhin kommt das Geld. Das zeigt sich manchmal an erstaunlichen Kleinigkeiten. So sind z.B. alle Ampeln in Sewastopol mit den neuen, stromsparenden LEDs ausgerüstet, die insbesondere bei direkter Sonneneinstrahlung erheblich besser zu sehen sind. Außerdem werden in Rot oder Grün die Sekunden bis zum Ampelwechsel heruntergezählt. Wo gibt es das in Deutschland? Die Hauptstraßen im Bereich der Küste sind in hervorragendem Zustand, deutlich besser als im restlichen Land. Wobei so gefährliche Schlaglöcher wie in Rumänien oder Bulgarien mir keinmal Schrecken eingejagt haben. Da war ich auf Schlimmeres gefasst gewesen.

Schlimmer als sonst in Osteuropa waren die Fahrer von Luxus SUVs vom Schlage eines Audi Q7, Porsche Cayenne oder gar Hummer. Mit nie erlebter Brutalität überholten sie und drängten schwächere Verkehrsteilnehmer ab. Bei mir kam der Verdacht auf, dass die Geschäfte, die ein solches Fahrzeug erlaubten, so rücksichtslos geführt werden mussten, wie ihre Fahrweise. In einem Land, in dem das verfügbare pro Kopf-Einkommen, wohlgemerkt kaufkraftbereinigt, weniger als ein Viertel des deutschen beträgt, gehört schon einiges dazu, sich solch einen Schlitten zu kaufen und zu unterhalten.


Schon wenige Kilometer hinter Sewastopol führte die Straße wieder am Meer entlang. Links hatten wir das hoch aufragende Gebirge, rechts fiel es steil ab zur Küste. Eine traumhafte Landschaft, wie sie an der Cote d‘Azur nicht schöner sein konnte. Die vielen kleinen Orte direkt am Strand waren meistens nur über abenteuerliche Stichstraßen zu erreichen. Meistens war ich froh, wenn ich aus dem engen Gewirr von Gässchen endlich in den wuseligen Dörfern nach manchem Fehlversuch, der in Sackgassen endete, wieder oben auf der Durchgangsstraße war. Hinweisschilder fehlten gänzlich, weil jeder Einheimische doch wusste, wo der Ausgang aus dem Labyrinth war. 

Kurz vor der größten Stadt dieses Teils der Krim, Jalta, bogen wir links ab. Die Straße schraubte sich mit unendlich vielen Kurven durch dichten Wald bis auf die Höhe des Küstengebirges. Der Trubel hatte nachgelassen, aber die Straßen waren auch merklich schlechter geworden. Für die schöne Landschaft hatte ich kein Auge mehr übrig. Die zahlreichen Schlaglöcher waren zwar nicht sonderlich tief, mussten aber alle umrundet werden. Das nervt dann auf die Dauer doch ganz schön. Trotzdem haben wir die Rundreise sehr genossen und kehrten im späten Nachmittag nach Sewastopol zurück. Auf Anhieb fanden wir unser Hotel in der riesigen Stadt wieder. Es war nicht die Route, auf der wir sie verlassen hatten, bestimmt war es ein Umweg, aber letztlich zählt der Erfolg. Abends machten wir noch einen ausgedehnten Bummel durch den Hafen. In einem Schnellimbiss sprach ich einen uniformierten Matrosen auf Englisch an. Und siehe da, er verstand mich. Leider war er keine große Hilfe beim Bestellen eines Abendessens. Daher musste mein „Ukrainisch“ reichen. Pizza, Ssalad, Mineralna Voda und Pivo (Bier) verstand man. Es muss nicht immer Kaviar sein!


Nach einer geruhsamen Nacht und dem wieder einmal hervorragenden Frühstück fuhren wir wieder in Richtung Jalta, wie am Vortag. Eine Kapelle auf einem Felsvorsprung, die schon von fern mit ihren goldenen Türmchen leuchtete, wollten wir aus der Nähe ansehen und dann noch die einzige Seilbahn der Ukraine ausprobieren. 

Da die Hitze unerträglich war, nahmen wir in Kauf, ohne Schutzkleidung zu fahren. Ein Sonnenstich ist bei voller Fahrt ja auch lebensbedrohlich. Also waren Jeans und T-Shirt angesagt.


Die Kapelle...

...und das moldawische Sofa


Die Kapelle, die zu Sowjetzeiten vorübergehend auch als Pferdestall genutzt worden war, hatte man liebevoll und aufwändig restauriert. Mengen von Pilgern und Schaulustigen zogen durch das Gotteshaus, beteten oder fotografierten. Von der Terrasse hatte man einen überwältigenden Blick auf das Schwarze Meer und bis ins ferne Jalta. Draußen kamen wir ins Gespräch mit einem Paar aus Moldawien, das ebenfalls mit einem dicken Roller angereist war, einem 300er Honda, den ich noch nie bewusst gesehen hatte. Leider waren die englischen Sprachkenntnisse der Frau nicht ausreichend für eine gepflegte Konversation, und mit ihm radebrechte ich über technische Daten unserer Roller. Wir kamen dann überein, gemeinsam ein Stück zu reisen. Weiter den Berg hoch und dann über den Pass wieder abwärts. Irgendwann wurde es uns dort zu langweilig. Wir hatten wohl beide etwas Schöneres erwartet. Darum wendeten wir und fuhren an der Kapelle vorbei wieder die großartigen Serpentinen hinab bis auf die Hauptstraße. Wir bogen nach  links ab, sie nach rechts.


Auf zur Seilbahn! Schon von Weitem konnten wir den Gipfel des Petriberges erkennen, der markant über der Bergkette herausragte. Beim Näherkommen sahen wir auch das Tragseil der Gondel, das die Straße überquerte und irgendwo unten im Häusermeer verschwand. Man sollte meinen, es sei einfach, die Talstation zu finden. War es aber nicht. Alle wussten, wo sie war, deshalb gab es, wie immer keine Hinweisschilder. Unsere unbeholfene Fragerei führte auch immer wieder in Sackgassen oder nach oben auf die Durchgangsstraße. Irgendwann hielt ich entnervt auf einem Dorfplatz an, zog den Helm aus und steckte mir eine Zigarette an. Da wurde ich von einem älteren deutschen Paar angesprochen, das ganz in der Nähe ein Haus besaß. Sie waren genau so froh wie ich, in ihrer Muttersprache ein Schwätzchen zu halten. Sie erzählten unter anderem von dem verheerenden Waldbrand vor zwei Tagen, der diesen Ort bedroht hatte und einige Häuser in Schutt und Asche gelegt hatte. Ein junger deutscher Tourist hatte sich in den Bergen verlaufen und in der Dunkelheit dann vollkommen die Orientierung verloren. Über sein Handy rief er den Notdienst an, und die versprachen, einen Suchhubschrauber loszuschicken. Um die Suchmannschaft auf sich aufmerksam zu machen, zündete er ein Feuer an. Als die Retter auftauchten, war das Feuer schon außer Kontrolle geraten. Es fand massenhaft Nahrung in dem ausgedörrten Unterholz und erfasste bald einen ganzen Berghang. Ehe die Feuerwehr wirksam eingreifen konnte, war der Waldbrand bis in Wohngebiete vorgedrungen. Ein Ehepaar konnte nicht mehr flüchten und wurde nur noch verkohlt geborgen. Der Schussel wurde natürlich gerettet. Jetzt atmet er gesiebte Luft.

Die netten Leute konnten mir natürlich auch genau den Weg zur Seilbahn beschreiben. Ihres Wissens sei bisher noch keine Bahn abgestürzt, gaben sie mir noch mit auf den Weg. Wenn das nicht beruhigend ist!

Die Fahrt brachte uns in zwei Sektionen bis auf 1234 m Höhe. Der Panoramablick von hier oben war einfach überwältigend. Jalta und seine Vororte lagen uns zu Füßen. Auf dem funkelnden Schwarzen Meer zogen viele Schiffe ihre Bahnen. Man konnte sich kaum sattsehen. Das mit dem Sattsehen fand hinter meinem Rücken statt. Ein Tourirummel und Nepp der übelsten Sorte. Für Geld konnte man sich mit einem lebenden Bären ablichten, den ein Ring durch die Nase mit Kette daran, hinderte, den Touristen zu fressen. Fotos mit ausgestopften Bären waren billiger. Bestimmt zwanzig Luxuskarossen, von Maserati über Ferrari bis Mercedes und Hummer standen herum, um sich die Nasen daran platt zu drücken. Wer den Fotoapparat zückte, musste zahlen. Wer gut mit Kleingeld gesegnet war, konnte mit einem Quad durch die Gegend brettern. Für weniger Reiche standen und lagen Kamele für einen Ausritt herum. Unzählige Buden boten Souvenirs sowie flüssige und feste Nahrung zu Petri Berg Preisen an. Da wird schnell die Sehnsucht übermächtig, wieder am Gasgriff zu drehen.  

Übler Rummel...

...und grandiose Aussicht


Die Stadt Jalta musste ich mir nun nicht auch noch antun. Deshalb habe ich am Ortseingang nur getankt und bin dann abgebogen ins Landesinnere.

Wieder ging's auf einer großartigen Serpentinenstraße auf die Höhe des Küstengebirges. Dann schloss sich eine Hochebene an. Eine Ansiedlung der Krimtataren bot sich für ein Mittagessen an. Ein riesiger Fleischspieß wurde für mich auf einem Holzfeuer gegrillt und mit frischem Brot serviert. Alte und junge Männer, die tatsächlich so aussahen, wie man sich Tataren vorstellt, lümmelten sich auf den Sitzkissen und tranken Tee. Andere gingen hoch zu Ross ihrer Arbeit nach. Aber mit einigen Quads hatte auch schon die Neuzeit dieses mittelalterlich anmutende Dorf erreicht. Übrigens führte von hier eine Stichstraße zum Petriberg. Die Seilbahn hätten wir uns eigentlich sparen können.

Nach einem Verdauungsspaziergang zu einem nahegelegenen Mahnmal fuhren wir durch die urige Landschaft des Krimgebirges gemütlich zurück, wieder in unser „Luxushotel“ in Sewastopol.


Östlich von Jalta ist die Krim längst nicht mehr so mondän. Hier machen die „einfachen“ Leute Urlaub. In einem Dorf fanden wir eine schlichte Pension und legten mal einen Tag Badeurlaub ein. Dabei hatte ich ausgiebig Gelegenheit, zu beobachten, was der durchschnittliche Ukrainer sich leisten kann. Die Unterkunft ist in einem Privathaus, in dem oftmals das Elternschlafzimmer vermietet wird und die Eigentümer auf dem Sofa oder in der Gartenlaube hausen. Mit den Einnahmen einer Saison wird dann das Häuschen, das teilweise noch im Rohbau steht, weiter ausgebaut. Selbstverpflegung stand im Vordergrund. Im Untergeschoss unseres Domizils war ein Lebensmittelladen, aus dem unablässig Menschen mit ihren Einkäufen kamen, um auf ihren Zimmern zu speisen. Nur wenige leisteten sich schon mal einen Restaurantbesuch. Am Strand fielen die Massen von wohlbeleibten älteren Herrschaften auf. 

Ein größeres Schiff kam auf den Strand zu. Nirgendwo entdeckte ich eine Anlegestelle. Dann die Überraschung. Der Kapitän setzte seinen Pott schön langsam mit dem Bug auf Grund. Dann wurde eine zweiteilige Treppe ausgeklappt und auf dem Sandstrand aufgesetzt. Jetzt konnten die Passagiere aus- und einsteigen. Ganz schön pfiffig. 

Die Landung auf dem Sandstrand


So hatte ich einen der seltenen ganz ruhigen Tage am Strand. Meine Frau, der man nachsagt, sie sei ein Laufkäfer, machte eine ausgedehnte Wanderung derweil. Abends hatten wir zum Essen einen Platz direkt mit Blick aufs Meer. Am Himmel stand ein prächtiger Vollmond, der sich in den leicht gekräuselten Wellen des Schwarzen Meeres spiegelte. Wie auf einer Kitschpostkarte.

Am anderen Morgen hatten wir auf dem gleichen Platz ein kräftiges Frühstück, bevor wir aufbrachen gen Osten.

Einen Tag wollten wir uns noch an der Meeresküste gönnen, wussten wir doch, dass die Heimreise anstand, der Wendepunkt. So fanden wir schon recht früh ein Hotel am Rande des Städtchens Sudak

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Hier wohnten wir und hatten als Nachbarn Deutsche


Im Innenhof der Anlage trafen wir ein deutsches Ehepaar mit zwei kleineren Kindern, die ihre Krimreise ausschließlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln und zu Fuß durchzogen. Gelandet waren sie in Simferopol und hatten dann unzählige Sehenswürdigkeiten im Land und an der Küste besucht. Alle Achtung! Das ging aber auch nur, weil die Frau recht gut russisch sprach. So kann man beispielsweise nur mit dem Überlandbus reisen, wenn man ein Ticket und damit einen Platz gebucht hat. Einfach einsteigen kann man nur in der Straßenbahn oder lokalen Bussen. Das Paar gab uns viele gute Tips für Sehenswürdigkeiten und Restaurants. Auf ihren Rat hin fuhren wir ein paar Kilometer bis zu einem Ort, an dem ein Höhlenwanderweg losging. Dann lief es wie am Vortag. Meine Frau machte den Laufkäfer durch das Labyrinth und ich den Strandlieger. Da wir schon am ersten Tag in Lemberg unsere beiden Handys mit ukrainischen Chips bestückt hatten, war die Kommunikation untereinander immer problemlos und preisgünstig möglich. Zum Abendessen besuchten wir, einer Empfehlung unserer Nachbarn folgend, ein Restaurant, das auch eine Speisekarte in Englisch hatte. Eine ausgesprochene Rarität in diesem Land, das hundert Meter weiter als Sehenswürdigkeit einen echten, lebendigen Neger im Baströckchen ausstellte, mit dem man sich gegen Entgelt fotografieren lassen konnte. Erinnert an Schilderungen von 1900 in Hamburg. Meine Kohlrouladen schmeckten mir köstlich, jedoch hatte ich am nächsten Morgen einen verdorbenen Magen und fühlte mich hundeelend. Ob das Hackfleisch nicht mehr ganz gut war?

 Ein leckeres Frühstück auf der Hotelterrasse mit Panoramablick auf eine große Festungsanlage brachte mich wieder auf die Beine und stärkte uns für die lange, eintönige Rückreise.

Ganze drei ereignislose Tage durch plattes Land brauchten wir durch die endlosen Weiten der Ukraine. Es dämmerte schon, als wir noch eine gute Stunde von der Grenzstadt entfernt waren und bei der Fahrt durch ein kleines Kaff den Hinweis auf ein Hotel lasen. Dort hatte man den Eindruck, wir seien seit langer Zeit die ersten Übernachtungsgäste. Aber abzocken konnten die schon. Insbesondere, was uns der Hausherr am nächsten Morgen nach langem Bitten, verkatert und in Morgenmantel und Schluffen als Frühstück servierte, war zu diesem Preis eine Frechheit. Meine geringen Kenntnisse der ukrainischen Sprache waren Schuld daran, dass ich ihm zum Abschied nicht den Tip gab, dass andernorts für den Parkplatz im geschlossenen Hof glatt 9,- € gefordert werden.

Grenzstadt zu Rumänien. Mittags noch knallheiß, ab Abend Dauerregen


Obwohl die Ukraine und Rumänien mehr als 100 Km gemeinsame Grenze haben, gibt es keinen einzigen direkten Grenzübergang. Der Weg führt über Moldawien. Es geht eindeutig einige hundert Meter durch dieses Land. Das heißt für den Reisenden Ukraine Ausreiseformalitäten, Moldawien Einreiseprozedur. Fast in Sichtweite dann Moldawien raus, Rumänien rein. Das ganze kann bei unwilligen Beamten schnell 2 Stunden dauern. Uns hatte es bei der Ausreise aus Moldawien erwischt. Einer dieser Wichtigtuer wollte unbedingt die Fahrzeugnummer in der Zulassung mit der eingeprägten Nummer im Rahmen des Fahrzeug vergleichen. Nur wusste ich nicht, wo man suchen sollte und er auch nicht. Also ließ er uns schmoren in der unerträglichen Mittagshitze und fertigte andere Fahrzeuge ab. Ein russischer Trucker zeigte uns über Zeichensprache an, ein schöner Geldschein würde dem Warten ein Ende bereiten. Irgendwann, als wir beinahe verzweifelten, gab es dann doch noch den ersehnten Stempel im Pass. Die zwei Stunden Warterei waren uns wie vier vorgekommen. 


In Galati, der Grenzstadt auf rumänischer Seite, gedachten wir, ein Hotel zu nehmen. Die Sucherei war mal wieder erfolglos, und so fuhren wir aus der Stadt hinaus Richtung Norden, wo wir noch einiges besichtigen wollten. Dabei überraschte uns ein kräftiges Gewitter, sodass wir uns nur in eine Tankstelle flüchten konnten. Geschlagene zwei Stunden warteten wir hier auf ein Ende der nassen Pracht und fuhren schließlich los, als es nicht mehr ganz so stark regnete. Ab hier hat uns Regen begleitet bis nach Hause. Und zwar täglich, mal mehr mal weniger, aber immer mussten wir einige Stunden durchhalten, wenn wir termingerecht in der Heimat ankommen wollten. Jegliche Art von Besichtigung musste leider aus dem Programm gestrichen werden.


Die Nacht in einem netten Hotelzimmer hatte die Lebensgeister wieder geweckt, und so machten wir uns einigermaßen gefasst auf die nächste Etappe. Aber es sollte schlimmer kommen. Die einzige Route, die Richtung Heimat führte, wurde renoviert. An anderer Stelle hatte ich schon gesagt, dass Rumänen gründlich renovieren. Die Strecke ist danach nicht wieder zu erkennen. Alle Brücken werden erneuert, es gibt Ortsumgehungen, Kriechspuren an Bergstrecken und alles, was sich der Straßenbauer vorstellen kann. Unsere Renovierung hatte gerade erst gut eingesetzt. Etwa 100 km wurden gleichzeitig in Angriff genommen. Der Verkehr quälte sich durch Baustellen mit tiefen Schlammlöchern. Mehr als fünfzig Baustellenampeln habe ich gezählt, bevor ich aufhörte. Dazu kam stundenlanger Regen. 


Wenn ein Regenschauer vorbei war, kam natürlich Hoffnung auf, aber schon eine halbe Stunde später kam ein neuer Segen von oben. So war die angepeilte Tagesetappe nicht zu bewältigen. In den Außenbezirken einer Stadt, in der wir ein Hotel vermuteten, wurde der Regen so stark, dass an eine Weiterfahrt nicht mehr zu denken war. Wir flüchteten in das Wartehäuschen für den Bus. Auf der Straße hatte sich eine etwa 20 cm tiefe Lache gebildet. Die von den vorbeifahrenden Autos hochgeschleuderten Wassermassen kamen bis in das weit zurückliegende Häuschen geschwappt. Nur auf der Bank stehend blieben wir davon verschont. Elend lange standen wir zitternd in der Bude rum. Es war dunkel geworden. Wir taten uns unendlich leid, aber wir mussten wieder raus in den strömenden Regen. Gottseidank fanden wir auf Anhieb das einzige Hotel in dem Kaff. Eine heiße Dusche hatten wir uns mehr als verdient.


Der folgende Tag war nur halb so verregnet, aber das reichte auch. Und kalt war es uns sowieso. Am frühen Nachmittag überquerten wir die Grenze nach Ungarn. Dabei kaufte ich mir in weiser Voraussicht eine Vignette für die Autobahn, immerhin kostete die 8,- €. Da aber in Ungarn irgendwie alles über Budapest läuft, wollte ich nicht auch noch in die Innenstadt geraten, sondern auf dem äußeren Autobahnring in Richtung Slowakei fahren.


Kurz vor Budapest fanden wir ein brauchbares Nachtquartier und starteten am nächsten Morgen bei recht dichtem Nebel. Der löste sich aber nicht auf, wie gehofft, sondern ging erst in Niesel- dann in Dauerregen über. Kurz hinter Budapest haben wir aufgetankt und mit einem heißen Kakao die Lebensgeister wieder geweckt. 

Und dann standen da die beiden Herren in Uniform, trotzten dem strömenden Regen, und versuchten Kraftfahrer ohne Vignette zu fischen. Die hatten sich bestimmt bei ihrem Vorgesetzten unbeliebt gemacht und deshalb diesen Dienst aufgebrummt bekommen. Sie dachten schon, in mir endlich ein Opfer gefunden zu haben, als sie schließlich doch noch mein Pickerl entdeckten.


Dann kam auch schon die Grenze zur Slowakei und damit wieder diese verhasste Prozedur. Können die nicht einfach einen Motorradfahrer durchwinken? Anhalten, Handschuhe ausziehen, Helm ab, Jacke öffnen, nach dem Pass angeln und dann das ganze rückwärts. Die durchweichten Handschuhe wollen nicht mehr auf die eiskalten Finger, denn das Innenfutter hat sich rausgezogen. Die Schlange der Autofahrer hinter einem wird immer länger. Insgesamt drei mal hatten wir auf dieser Heimfahrt das zweifelhafte Vergnügen.

Dieser massive Ärger ist heute, da ich diesen Bericht schreibe, seit dem 21.12.2007 deutlich weniger geworden. Schengen sei Dank.


Nach einer kurzen Rast unter dem Dach der Grenzstation wussten wir, es muss wieder raus in den Regen gehen. Hier konnten wir keine Wurzeln schlagen. Es war lausig kalt in den nassen Klamotten, so gegen 12 Grad. Was hatte ich noch vor einer Woche über die Hitze gestöhnt. 

Schon wenig später wurde eine Raststätte angekündigt. Da wollten wir uns wieder aufwärmen. Dabei hatten wir das schönste Erlebnis der ganzen Reise. Am Eingang empfing uns ein Biker und stellte sich als Vorsitzender des örtlichen Harley-Clubs vor. Er führte uns in ein Hinterzimmer vor einen lodernden Kamin. Schnell hatte er Stühle herbeigeschafft, legte noch ein paar Scheite nach und war rührend um unsere nassen Kleidung bemüht. Wir fühlten uns wie im Paradies mit einem eigenen Engel nur für uns. Er erzählte von den Aktivitäten seines Clubs, von weiten Reisen und Elefantentreffen an denen sie teilgenommen hatten. Schließlich bot er uns noch ein Nachtquartier im nahen Clubhaus an, für nur 5,- € pro Person.

Einerseits verlockend, andererseits wollten wir weiter. Nach zwei Stunden vor dem Kamin fühlten wir uns wieder stark genug, dem Dauerregen noch mal zu trotzen. Nach langweiliger Fahrt auf der Autobahn fanden wir in einer tschechischen Kleinstadt ein nobles Hotel mit heißer Dusche, molligem Bettzeug und einem Feinschmeckerrestaurant im urigen Kellergewölbe. Wir hatten es uns redlich verdient.


Kann man sich auf dem Zweirad auch über Regenschauern freuen? Ja, man kann, weil sie besser sind als Dauerregen. So erlebten wir den neuen Tag zuerst auf der tschechischen Autobahn, später auf Landstraßen und überquerten bei Dresden die Grenze. Jetzt hatten wir „nur“ noch etliche hundert Kilometer langweilige Autobahnfahrt vor uns. Eisenach hatten wir uns als Etappenziel vorgenommen. Wartburg und Tourismus versprachen  ein ausreichendes Hotelangebot. Von wegen! Ausgebucht, hochnäsiger Hotelchef, ausgebucht, 135,- €, ausgebucht. Es war zum Verzweifeln. Was sonst als Hobby meiner Frau galt, wurde jetzt zum Alptraum. Weit vor der Stadt, auf der „Grünen Wiese“ ein Hotelkasten mit 140 Zimmern, auch alle ausgebucht. Die nette Dame an der Rezeption telefonierte mit Kolleginnen und Kollegen und fand für uns noch ein Zimmer in Gotha. Dann musste es also sein. Vierzig Kilometer wieder zurück auf der Autobahn. Das Zimmer war guter Standard, aber die hausmacher Sülze mit Bratkartoffeln war die beste, die ich jemals in meinem Leben gegessen habe. Hoffentlich kamen meine lobenden Worte auch beim Küchenchef an.


Der letzte Tag hatte dann weniger Schauern als trockene Abschnitte. Er spielte sich komplett auf der Autobahn ab und war entsprechend eintönig. Die Warnlampe für eine defekte Variomatic brannte nun auch noch. Der Hinterreifen war blank. Es wurde höchste Zeit, den Heimathafen anzulaufen.

Erleichtert, aber auch voller Stolz auf unsere Leistung, erreichten wir endlich unser gemütliches Heim. 

 

Bilder und Texte : Bruno Schiffer †
Bruno Schiffer ist am 13.09.2008 leider verstorben

 


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